Kultur Südpfalz Einwände und Vorwände

Sie haben ja alle nichts gegen Flüchtlinge in dieser WG: Szene aus „Willkommen“ mit Paula Skorupa (Anna), Heisam Abbas (Achmed),
Sie haben ja alle nichts gegen Flüchtlinge in dieser WG: Szene aus »Willkommen« mit Paula Skorupa (Anna), Heisam Abbas (Achmed), Ute Baggeröhr (Sophie), André Wagner (Benny), Lisa Schlegel (Doro) und Jonathan Bruckmeier (Jonas).

Allzu gerne wären wir „gut, anstatt so roh, doch die Verhältnisse, die sind nicht so“. So zumindest heißt es bei Brecht. Aber auch die braven, bürgerlichen Gutmenschen in der Komödie „Willkommen“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, die jetzt im Karlsruher Staatstheater zu sehen ist, scheitern an den Verhältnissen – genauer: an sich selbst.

Ihr schöner Traum, die vergiftete Diskussion der Flüchtlingsfrage mit einer Geste der Mitmenschlichkeit zu entspannen, zerlegt sich im schnöden Hickhack ihrer noblen Wohngemeinschaft. Bei ihrem monatlichen WG-Dinner teilt Dozent Benny seinen bestürzten Mitbewohnern mit, dass er für ein Jahr nach New York gehen will, und vollends sorgt er mit dem Vorschlag, sein freies Zimmer derweil an Flüchtlinge zu vergeben, für Aufregung. Die spontane Zustimmung der anderen schwindet, als es an die konkreten Folgen ihres Plans geht. Da plötzlich brechen Einwände und Vorurteile, Eigensinn und Engstirnigkeit hervor – alles getarnt in hochherzigen Floskeln, scheinheiligen Vorwänden, wolkigen Ausflüchten und bewährten Totschlag-Argumenten. Der zunehmende Streit der fünf Mietgenossen offenbart, dass die nette Wohngemeinschaft so harmonisch nicht ist, wie sie es gerne glauben. Ihre 200 Quadratmeter Altbau erweisen sich als ein vermintes Gelände, auf dem nun lauernde Konflikte aufbrechen, weil die Beteiligten ihre Privilegien auf dieser kommoden Insel der Seligen nicht aufgeben möchten. Sie verfangen sich im Netz ihrer kostbaren Befindlichkeiten, geraten ins bodenlos Grundsätzliche und bemühen dabei die liebgewordenen Klischees ihrer kultivierten Selbstherrlichkeit. Erst als der erfrischend „normale“ Freund der schwangeren Studentin Anna ins Spiel kommt und sich als vollintegrierter Deutschtürke der zweiten Generation entpuppt, geraten die Fronten ins Rutschen. Zwar wäre er als neuer Mitmieter eine laue Halblösung, aber auch diese Option versinkt im gutmenschlichen, oft auch aggressiven Gefasel der heillosen Bedenkenträger. Am Ende bleibt das Zimmer leer. Außer atmosphärischen Trümmern – kein Ergebnis. Es ist ein bewährtes Muster, nach dem die Routiniers Hübner/Nemitz ihre hintersinnigen Gesellschaftskomödien stricken und in dem sie sich an französische Vorbilder wie Yasmina Reza oder Delaporte/de la Pattelière anlehnen. Wer „Willkommen“ sieht, wird sich an das grandiose „Richtfest“ (2014) erinnern. Es ist derselbe dramaturgische Trick: glänzende Oberfläche über zerfallendem Grund, leichthändig vorgeführt in pointen- und temporeicher Sprache, mit einem Humor voller kritischer Widerhaken und durch dankbare Figuren in gefährlicher Nähe zu amüsanten Stereotypen. So auch jetzt in der Inszenierung von Nicolai Sykosch, der den komödiantischen Ton des Werkes hervorhebt. Im weiten Raum der WG-Küche (von Stephan Prattes) entfalten sich die Konflikte und Scharmützel mit wirkungssicherer Dynamik, die gewiss auch ohne die aufgesetzten, pseudo-metaphorisch aufgeladenen Gags funktioniert hätte. Den Darstellern im mitreißend spielfreudigen Ensemble lässt Sykosch lange Leine. André Wagner spielt den schwulen Benny als Karikatur einer urbanen Tunte, und auch Lisa Schlegel als überdrehte, zunehmend besoffene Doro orientiert sich gerne an der Rampe. Das synthetische Kunstwerk einer verbiesterten, angriffslustigen WG-Megäre steuert mit gusseisernem Mut zur unfreiwilligen Komik Ute Baggeröhr als gescheiterte, dogmatische Sophie bei. Dass die Figuren nicht nur zitierte Meinungsinhaber sein müssen, sondern vitale Rollen sein können, belegt Paula Skopura als gradlinige Anna, die die tiefe Verwirrung um ihre Schwangerschaft mit anrührender Intensität vorführt und mit ihrem eruptiven Monolog einen grandiosen Akzent setzt. Ihren Freund Achmed spielt Heisam Abbas mit allzu ironischer Überbetonung seiner beflissenen Angepasstheit, und der unergiebigen Partie des gehemmten Jonas gibt Jonathan Bruckmeier die Kontur eines arglosen Weicheis. INFO Die nächsten Vorstellungen sind für den 26. Januar sowie den 3., 17. und 27. Februar geplant. Karten und weitere Termine unter Telefon 0721 933333 oder www.staatstheater.karlsruhe.de.

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