Kultur Südpfalz Eine Frage der Verantwortung

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Ein wichtiges, hoch aktuelles Stück, das es sich nie zu leicht macht: „Ramstein Airbase: Game of Drones“, entwickelt von dem in Katzweiler (Kreis Kaiserslautern) aufgewachsenen Regisseur Jan-Christoph Gockel, hat jetzt am Mainzer Staatstheater Uraufführung gefeiert. Und dürfte Wellen schlagen. Als klug durchdachte Collage, die – gestützt durch fein dosierten Humor und stimmige Visualisierungen – viel Wissen vermittelt, betroffen macht und grundlegende Fragen über Krieg und Verantwortung stellt.

„Komplexes Weltbild, muss man aushalten“, heißt es im Stück einmal. Da haben die Zuschauer schon die Hauptfiguren kennengelernt, den deutschen Anwalt, den früheren US-Drohnenpiloten und „Marylin“, die den Mythos Amerika verkörpert. Mal verführt und spielt sie, mal weist sie zurecht und droht. Das Publikum steckt da schon mittendrin in der Frage: Ist der Einsatz von Kampfdrohnen gerechtfertigt? Wie sich positionieren, wenn gute Absichten böse Folgen haben? Schwarz-Weiß-Denken hilft nicht, untermauert das Stück, das sich auf keine „Seite“ schlägt, niemanden vorführt. Vielmehr regt die Collage dazu an, sich eigene Gedanken zu machen über die vielen kleinen Räder, die ineinandergreifen, und darüber, dass der Krieg schon länger nicht unweit der eigenen Haustür zumindest „durchgeleitet“ wird: Um die Rolle der Air Base Ramstein im US-Drohnenkrieg geht es, um abstrakte Zusammenhänge, die Stück-Entwickler Jan-Christoph Gockel nach aufwendiger Recherche bildlich greifbar macht. Zum Beispiel mit einer Weltkarte, die den Bühnenboden bedeckt. Mittelalterlich mutet sie an, wären da nicht die seltsamen Linien, die vor allem übers Meer führen: Sie stehen für die Glasfaserkabel, die erst den „ferngesteuerten“ Krieg ermöglichen. In Dialogszenen zwischen dem neugierigen, pazifistischen deutschen Anwalt (Sebastian Brandes) und dem Ex-Drohnensteuerer Brandon Bryant (Denis Larisch) – begleitet von teils verstörenden Zwischenauftritten von Marylin (Monika Dortschy), die schon mal mit Kaugummistreifen Einsatzorte markiert – wird folgendes Szenario verdeutlicht: Die Drohne selbst schwebt irgendwo in der Wüste, in Pakistan, Afghanistan. Gesteuert wird sie von Männern, die in einem Container in einer anderen Wüste sitzen, in Nevada zum Beispiel. Sie schauen zu, beim Wäscheaufhängen, beim Spielen der Kinder: „Ich sehe wesentlich mehr Menschlichkeit als Feindseligkeit“, sagt die Figur des Ex-Soldaten einmal. Und sie warten auf den Anruf des „Kunden“, wie der Vorgesetzte heißt, der den Befehl zum Töten gibt. Drücken sie den Knopf, geht das Signal via Kabel zur Schaltzentrale in Europa, nach Ramstein, von dort per Satellitensignal zur Drohne. In den zehn Sekunden zwischen „Abschuss“ in den USA und tödlicher Folge aber kann noch einiges passieren. Unschuldige etwa können um die Hausecke kommen. In einer Szene verkörpert Monika Dortschy auch eine überlebende Zeugin eines Drohnenangriffs in Wasiristan, der einige „Besucher“ ihres Hauses tötete. Ihre Angst wird spürbar, doch verheimlicht das Stück auch nicht, dass die Getöteten tatsächlich als Terroristen galten. Hätten sie nicht dennoch einen Prozess verdient?, fragt der Anwalt. Die Figur des Anwalts ist auch autobiografisch gefärbt und spiegelt Jan-Christoph Gockels eigenes Aufwachsen in der Nähe der Air Base, die er durch seinen besten, amerikanischen, Freund gut kannte und gern besuchte: „Die Air Base war mein Disney-Land.“ Doch dieser Anwalt steht auch für das Eintreten für Gerechtigkeit, für das Einhalten von Gesetzen. Er ist das gute Gewissen, der neugierige, aber auch mahnende Deutsche. Er ist der Zivildienstler, der auch mal einen eher seelisch verletzten US-Soldaten ins Landstuhler Hospital fuhr. Und er ist Tom Cruise in „Eine Frage der Ehre“, der herausfinden will, wer denn nun die Befehle gegeben hat. Im Stück sind die Befehle zum Abschuss gemeint, ausgehend von nichtssagenden Containern irgendwo in Nevada. Und ist es nicht ein bisschen ironisch, dass das „Docu Center Ramstein“, das die Geschichte der Air Base in Ausstellungen aufzeigt, ausgerechnet ebenfalls in einem Container untergebracht ist? Das Stück beginnt mit Erinnerungen, teils unterlegt mit Nachrichtenbildern: an die Flugtag-Katastrophe von 1988, nach der sich später die Band Rammstein benannte. Deren Song „Amerika (ist wunderbar)“ erklingt denn auch zunächst in einer ironisch-kinderliedhaften Version. Schöner ist die Erinnerung ans erste T-Bone-Steak, das erste Halloween in der Housing, die erste Liebe zu einer jungen US-Amerikanerin, die Deutschland jedoch verließ: nach der Wiedervereinigung, als es so aussah, als brauche es keine Air Base mehr in Ramstein. Doch dann kam der Erste Irakkrieg, mit Bildern von grünen Punkten, lautlosen Detonationen. Schon dieser Krieg wirkte abstrakt. Konkret und ganz gegenwärtig wird der Abend dann durch die Figur des Drohnensteuerers: Der echte Brandon Bryant, der schon vor der UN und dem NSA-Untersuchungsausschuss sprach, war während der Stück-Entwicklung zu einem Bühnengespräch nach Mainz gekommen. Ausschnitte davon sind nun in „Ramstein Airbase: Game of Drones“ zu sehen. Als zunächst typischen Soldaten, als Krieger sieht sich Bryant demnach. Er führte Befehle aus. Erst bei seiner Entlassung, als ihm offenbart wurde, dass er 1626 Feinde getötet habe, war ihm, „als würde die Last der Welt auf meine Schultern fallen“. Schauspieler Denis Larisch arbeitet vor allem empathisch die Zweifel, die Betroffenheit, das Verantwortungsgefühl dieses Mannes aus, der zu Beginn als ein Spiegelbild von Jon Snow eingeführt wurde, der einzigen zur Menschlichkeit neigenden Figur im Kosmos der Fantasyserie „Game of Thrones“. Der echte Brandon Bryant fühlt sich mittlerweile bedroht, sucht politisches Asyl in Deutschland, mahnt aber weiter. Am Ende des Stücks sind Auszüge eines offenen Briefs zu sehen, den der jetzt 30-Jährige nach den Anschlägen von Paris an die US-Regierung gerichtet hat. Es sei auch der Drohneneinsatz gewesen, der Menschen sich für den Terror öffnen ließ, schreibt er darin. Wie sich das ständige bedrohliche Brummen einer Drohne über dem Kopf anfühlt, führt das Stück ebenfalls vor: Eine rot-blau-blinkende kleine Drohne fliegt eine Weile über den Zuschauern, die sich immer mulmiger fühlen, beobachtet, verletzlich, auch wenn ein Netzvorhang den Zuschauerraum schützt. Oder sitzen wir im Käfig? Termine —Weitere Vorstellungen am 5. und 18. Dezember, 3., 16. und 24. Januar. — www.staatstheater-mainz.de

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