Rheinpfalz „E Brezel wie e Scheierdoor, e Kuuche wie e Ouweplatt“

Ganz früher Morgen am Silvestertag: Wir sind in „Michels Backstubb“, der Bäckerei im alten Ortskern Hauensteins. Die Brote und Brötchen sind gebacken, jetzt geht’s an die Spezialität, die es nur an diesem Tag zu kaufen gibt. Bäckermeister Michael Wilhelm und sein Azubi Alexander backen die „Neijohrsbrezle“ – 500 Stück sind’s, die meisten vorbestellt. Denn ein alter Brauch will’s: Am Neujahrsmorgen holen die Patenkinder beim „Pedder“ oder bei der „Goot“ ihre Brezel ab – denn sie gehört zum Jahreswechsel wie Sekt und Feuerwerk.

Ein Buttergebäck ist’s, wenig mehr als Mehl, Butter, Zucker, Hefe und Milch braucht’s, um die Neujahrsbrezel zu zaubern. Die Mengen? „Da hat jeder sein eigenes Rezept“, sagt der Meister und ergänzt: „Wichtig ist: Der Teig muss ruhen“. Zwei Stunden sollten es schon sein, bevor die Brezel in den Backofen wandert. Frisch aus der Backstube – so schmeckt sie natürlich am besten, weshalb die Neujahrsbrezeln auch sehr oft schon an Silvester den Besitzer wechseln, um den nachmittäglichen Kaffee zu versüßen oder am Silvesterabend zu Glühwein genossen zu werden. Was die Tage überdauert, findet auch – obwohl ziemlich trocken – seine Liebhaber: Manchen lässt der Gedanke an „Iigebrockeletes“ das Wasser im Mund zusammenlaufen Eigentlich aber, so ist’s alter Brauch, besucht das Patenkind am Neujahrsmorgen „Pedder“ und „Goot“: „Pross Neijohr, Pross Neijohr, e Brezel wie e Scheierdoor, e Kuuche wie e Ouweplatt, do werr mer all minanner satt“, so hieß es früher, wenn die Brezel abgeholt wurde. Mehr als ein Dutzend solcher und ähnlicher Verse hat der Volkskundler Viktor Carl aus Hainfeld für sein Buch „Die Pfalz im Jahr“ gesammelt, wie sie in der Vorder- und in der Westpfalz, in der Nord- und in der Saarpfalz beim „Pedder“ oder bei „de Göttel“ aufgesagt wurden. „Pross Neijohr“ – das ist die pfälzische Abkürzung des eigentlich lateinischen Wunsches „prosit“, der sich mit „es möge nützen“ übersetzen lässt. Der frühere Schulleiter in Edesheim, der ein unermüdlicher Sammler pfälzischen Brauchtums und pfälzischer Sagen war, hat auch eine Sage ausgegraben, welche die Entstehung die Neujahrsbrezel beschreibt: Danach sei ein Bäckermeister in Haft genommen worden, weil er über seinen Herrn, den Grafen, „boshafte Rede“ geführt habe. Als er den Grafen um Gnade bat, soll der geantwortet haben: „Deine Freiheit sollst du haben, wenn du einen Kuchen backst, durch den die Sonne dreimal guckt!“ Lange habe der wackere Meister überlegt, ehe ihm schließlich die rettende Idee gekommen sei: Eine lange Teigrolle sei „an den Enden zu kreuzen und auf die Mitte zu bringen: Dann hast du einen Kuchen, durch den die Sonne dreimal scheint.“ So entstand die erste Brezel, die ihm wieder die Freiheit brachte. Und zum Neujahrstag backte er das Gebäck, das er dann aus Dankbarkeit den Kindern der Nachbarschaft schenkte. Soweit zumindest die Sage Backwerk spielte bei den alten Neujahrsbräuchen übrigens auch in anderer Beziehung eine Rolle: So berichtet der Dernbacher Heimatkundler Lukas Grünenwald, dessen „Pfälzischer Bauernkalender“ aus dem Jahre 1896 ein illustres Bild des Jahresablaufs unserer Vorfahren zeichnet, von einem Umzug der „Knaben“ von Haus zu Haus. Mit einem Lied wünschten sie das neue Jahr an: „Das alte Jahr verflossen ist, das neue Jahr vorhanden ist. Wir danken dir, Herr Jesu Christ! Du wollest uns befreien vor Wasser und vor Feuer!“ Als Dank erhielten die Buben eine Gabe, meist ein Stück „Bundkuchen“. Kuchen spielt auch am Abend des Neujahrstages eine durchaus gewichtige Rolle. Er brachte vor allem den Frauen eine Abwechslung, „gestattet die Sitte doch auch den Frauen und erwachsenen Mädchen den Besuch eines Wirtshauses“, wie es Lukas Grünenwald ausdrückt. Lassen wir den Chronisten des Brauchtums weiter darüber berichten: „Es ist alte Sitte, dass jeder anständige Mann des Dorfes seine Frau am Neujahrstag, Fastnacht und Kirchweih mit in die Gesellschaft nimmt. Den Wirtinnen aber erwächst daraus die Pflicht, für ihre weiblichen Gäste ganz besonders besorgt zu sein. Darum stellt jede Wirtin am Neujahrstag unentgeltlich Teller auf, hoch gefüllt mit Schnitten süßer Zimmetkuchen, und lädt die anwesenden Frauen wiederholt ein, ihr Gebäck zu verköstigen. Es gilt als Anstand, der Wirtin Ehre anzutun, unanständig wäre es, am Wirtstische viel Kuchen zu essen. Wer mit starkem Kuchenhunger zur Wirtschaft käme, müsste als geizig oder armselig gelten.“ (ran)

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