Rheinpfalz Der Ländersammler

Walter Schmitt in seinem Reisenraum – mit Weltkarte als Fußbodenmosaik.

Walter Schmitt hat ein ehrgeiziges Ziel: Er will alle 193 Länder der Welt bereisen. 170 hat er in den letzten 30 Jahren schon besucht. Im November fliegt er nach Westafrika. Und ansonsten steht er in Assenheim auf dem Acker. Von Daniel Krauser

Hawaii liegt direkt neben der Terrassentüre. In Nicaragua, eine Bodenplatte weiter, sitzt eine Fuge nicht richtig. Den Sudan müsste man eigentlich nachbearbeiten – und mit dem Meißel die neue Grenze zum Südsudan einziehen. „Was zur Zeit gar nicht geht, ist der Jemen“, sagt Walter Schmitt und deutet auf einen schmalen Landstreifen am südlichen Ende der arabischen Halbinsel, respektive etwa in der Mitte des Raumes. Algerien und die Komoren dagegen gehen. Schmitt wird in wenigen Tagen aufbrechen und macht jetzt erst mal einen Ausfallschritt Richtung Japan. Er hat seinem Tun einen eigenen Raum in seinem Haus eingerichtet, Walter Schmitt, Landwirt aus dem vorderpfälzischen Assenheim. Einen Raum, den er selbst „Reisenraum“ nennt. Auf dem Boden: ein Fliesen-Mosaik, das die Weltkarte zeigt, Hawaii an der Terrassentüre, Sibirien und Japan am anderen Ende des Zimmers. In den Regalen: Souvenirs und eine Batterie Reiseführer, darüber ein Zertifikat, das beweist, dass er auf dem Kilimandscharo war. Rechter Hand: Fotowände zum Ausklappen, Schmitt mit Uniformierten in Nordkorea, Schmitt auf Kuba mit dem alten Mann, der mal der Leibwächter von Che Guevara war, Schmitt, der eine Riesenpfanne mit irgend einem asiatischen Gericht skeptisch mustert. „Ich bin beim Essen eigentlich immer experimentierfreudig“, sagt Schmitt, in Südamerika gab’s schon Meerschweinchen, werden dort wohl als Schlachtvieh gehalten, „in China hab’ ich schon Schlange gegessen“. Eigentlich wollte er diese Geschichte gar nicht erzählen. Noch nicht zumindest, solange er nicht alle komplett hat: Sämtliche 193 von den Vereinten Nationen anerkannten Länder dieser Erde will der Assenheimer bereisen – und so kurz vor dem Ziel lässt man sich wohl ungern in die Weltkarten gucken. Rund 170 Staaten hat er bereits, Algerien steht gerade an, im November geht’s nach Westafrika. Vier Länder in zwei Wochen, inzwischen sein normales Pensum. Nicht schlecht für jemanden, der bis Anfang 20 eigentlich kaum aus der Pfalz rausgekommen ist. Ein wenig wundert er sich wohl noch immer über sich selbst. „Für jemanden, der so bodenständig ist wie ich, ist das schon ungewöhnlich“, sagt Schmitt. Nach der Schule hat er seinen Landwirtschaftsmeister gemacht, hat im elterlichen Betrieb ausgeholfen, und zu jener Zeit hat ein Skiurlaub in Österreich seinen weitesten globalen Horizont markiert. 1989 hat er zusammen mit einem Freund seine erste Fernreise angetreten, nach Argentinien und Chile. „Dann hat sich das so entwickelt“, sagt Schmitt beiläufig, als würde er über seine Socken sprechen. Kann er 168 Länder später seine Eindrücke überhaupt noch auseinanderhalten, seine Erinnerungen richtig verorten? „Ja“, sagt Schmitt ohne Zögern, „das ist in einem drin.“ Manches fixiert er auch, damit es ihm nicht entfleucht: „Ich schreib’ sonst nie Tagebuch – im Urlaub schreib’ ich ständig.“ „Sonst“ heißt Feldsalat und vor allem Rucola, das Brot-und-Butter-Geschäft für den Landwirt Schmitt. Schmitt ist ehrenamtlicher Beigeordneter der Ortsgemeinde Hochdorf-Assenheim. Er sammelt alte Unimogs. Er ist als Fasnachter aktiv. Er war mal bei der Freiwilligen Feuerwehr. Er hält gelegentlich Vorträge zu seinen Weltreisen, und ab und an macht er bei Kursen mit, zum Selbereinmachen von Sauerkraut beispielsweise. Nach dem Gespräch am späten Vormittag wird er wieder auf den Acker fahren. In Nordkorea hat er abends die „Internationale“ gesungen, um nicht aus dem Rahmen zu fallen. Wenn er nach Hause zurückkehrt, dann fragen ihn die Leute: „Unn – wo warschd diesmol?“ Er hat eine Möglichkeit, seine Möglichkeit gefunden, aus der pfälzischen Gemütlichkeit auszubrechen – und trotzdem drin zu bleiben. Man kann das, was der 48-Jährige macht, auch ganz sportlich betreiben – und ganz penibel. „Most travelled people“, ganz frei übersetzt die „Gemeinschaft der Vielgereisten“, heißt ein Club, der die Welt gleichsam scheibchenweise und in direktem Wettbewerb erkundet. In 875 Teile hat man dabei den Globus aufgeteilt – und Ziel ist es nun, möglichst viele dieser Teile zu besuchen, um möglichst weit oben auf der internen Rangliste zu landen. 850 Punkte hat der derzeit führende Donald M. Parrish Jr. aus Downers Grove, Illinois. Walter Schmitt findet sich in den Ranglisten des Clubs auch, ein wenig außer Konkurrenz: Platz 120 in der „UN-Staaten-Ruhmeshalle“. Die Ranglistenjagd beim Reisen ist nicht Schmitts Ding – aber ernst nimmt er es schon, das Erkunden, der Welt und das Abhaken des bislang unerledigten und unbereisten. „Wenn’s reiner Jux wäre, würde ich nicht so viel machen“, sagt er. Wenn er fertig ist, mit den restlichen 23 Staaten durch, dann schwebt ihm so etwas wie ein „Länder ABC“ vor, ein Text, in dem er seine Eindrücke jedes Landes, jeder Region schildert. Von „A“ wie „Antarktis“ („unvorstellbar gut – die ganzen Farbenspiele“) über „N“ wie Nordkorea („schräg“, „waren über Autobahnen unterwegs, die vollkommen leer waren“) bis zu „Z“ wie „Zentralafrikanische Republik“ („wenn’s in Afrika dunkel wird, ist das wie wenn einer das Licht ausschaltet“). Es ist nicht nur Raum, den Walter Schmitt da in den letzten 30 Jahren durchmessen hat: Im Grunde kann er anhand seiner Reisen die Geschichte und die Geschichten globalen Wandels nachzeichnen. Er war im syrischen Palmyra, bevor der IS da war und einen Teil der antiken Stätten zerstört hat. Er war in Bhutan, als es dort noch keine einzige Ampel gab („vielleicht gibt’s inzwischen welche“), und er war in Libyen, bevor das Land endgültig ins Chaos gestürzt ist. Er war schon vor zehn Jahren auf der Krim. „Damals haben die Leute klar gesagt: Wir sind Russen – keine Ukrainer.“ Bei seiner ersten echten Reise war Schmitt oft mit dem Bus unterwegs, und da hat er sich viel mit mitreisenden Argentiniern unterhalten. „Die Leute haben sich beispielsweise für meinen Reiseführer interessiert“, sagt er, mit Blick auf die Fotowand. „Das Buch haben sie dann oft falschrum gehalten – weil sie nicht lesen konnten.“ Auf Jamaica ist er mal ausgeraubt worden, aber das war das bislang schlimmste Erlebnis seiner Reisen. Keine schlechte Bilanz für 30 Jahre und 170 Länder – aber Schmitt ist eben auch vorsichtig. „Ich war noch nie auf Mallorca“, sagt er, und grinst. „Ist mir einfach zu gefährlich.“ Zwei Wochen nach dem Treffen ruft man ihn nochmal an. Schmitt ist gerade aus Algerien zurückgekehrt. Er steht schon wieder auf dem Acker in Assenheim, bei Rucola und Feldsalat. Sein Reisenraum ist eigentlich eine Wunderkammer: Ein Ort, an dem man in eine andere Existenz eintauchen kann, ohne aus seiner zu fallen.

Der Weltreisende vor dem  Monument an einer Nilquelle  in Burundi ...
... und im Lemaire-Kanal in der Antarktis.
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