Rheinland-Pfalz Zwangsbehandlung nur in engen Grenzen zulässig

MAINZ/KLINGENMÜNSTER (jüm). Darf ein im geschlossenen Bereich einer psychiatrischen Klinik untergebrachter Patient zwangsbehandelt werden? Eine Antwort auf diese Frage gibt ein Gesetzentwurf, der voraussichtlich in der kommenden Woche im rheinland-pfälzischen Landtag behandelt wird.

Ein Patient des Pfalzklinikums für Psychiatrie und Neurologie in Klingenmünster hat vor drei Jahren Rechtsgeschichte geschrieben: Auf seine Beschwerde hin erklärte das Bundesverfassungsgericht Teile des rheinland-pfälzischen Maßregelvollzugsgesetzes für nichtig. Der Hintergrund: Der heute 62-Jährige hatte als Folge von Wahnvorstellungen auf seine schlafende Ehefrau und seine Tochter mit einer Weinflasche eingeschlagen. Da der Mann aufgrund seiner Erkrankung als schuldunfähig gilt, wurde er nicht zu einer Haftstrafe verurteilt. Vielmehr ordnete das Landgericht Frankenthal im Jahre 1999 seine Unterbringung im geschlossenen Bereich des Pfalzklinikums an. Um seine Wahnvorstellungen einzudämmen, wollten die Klinikärzte ihn mit Medikamenten therapieren. Das lehnte der Patient unter Hinweis auf mögliche Nebenwirkungen ab und wehrte sich gegen die drohende Zwangsbehandlung bis zum Bundesverfassungsgericht. Bis dahin erlaubte das Gesetz, einem solchen Patienten Medikamente zu spritzen, um das „Vollzugsziel“ zu erreichen. Im Klartext: Zwangsbehandlung ja, wenn der Betroffene dadurch eines Tages aus der Klinik entlassen werden kann. Diese Regelung erschien den Verfassungsrichtern als zu pauschal. Sie lehnten eine Zwangsbehandlung zwar nicht grundsätzlich ab, zogen aber enge Grenzen und verlangten eine „klare und bestimmte“ gesetzliche Regelung. Dieser Forderung will die Landesregierung mit ihrem Gesetzentwurf Rechnung tragen. Betroffen von dem Papier sind zwei Patientengruppen: Bei der ersten Gruppe handelt es sich um Personen, die wie der 62-Jährige eine Straftat begangen haben und dabei aufgrund ihrer psychischen Erkrankung entweder schuldunfähig handelten oder nur teilweise schuldfähig waren. Sie können deshalb strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden. Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankung eine Gefahr für sich oder andere darstellen. Das können etwa Personen sein, die sich selbst töten wollen. Beide Gruppen werden meist auf geschlossenen Stationen behandelt. Für den ersten Personenkreis ist das Maßregelvollzugsgesetz einschlägig, für den zweiten das Landesgesetz für psychisch kranke Personen. Mit dem nächste Woche im Landtag zu beratenden Gesetzentwurf sind für beide Paragrafenwerke weitgehend ähnliche Regelungen vorgesehen. Die Zwangsbehandlung eines psychisch Kranken soll künftig erlaubt sein, wenn dadurch ein Patient befähigt wird, sich mit seiner Situation auseinanderzusetzen und über seine weiteren Therapieschritte zu entscheiden. Beispielsweise können Wahnvorstellungen mit Neuroleptika mit guten Erfolgsaussichten zurückgedrängt werden. Entscheidet sich ein Patient in einem wachen Zustand gegen eine bestimmte Behandlung, so ist das zu respektieren, erläutert Michael Noetzel, Leiter des Maßregelvollzuges im Pfalzklinikum, auf Anfrage. Das gelte auch dann, wenn dadurch ein dauerhafter Behandlungserfolg und damit seine Entlassung aus der Klinik nicht möglich erscheint. Der Entwurf türmt viele Hürden für eine Zwangsbehandlung auf: Sie darf nur letztes Mittel sein, sie muss dem Betroffenen ausführlich erläutert werden, ihr Nutzen muss deutlich die Belastungen überwiegen, sie muss schriftlich so zeitig angekündigt werden, dass der Patient zuvor noch ein Gericht anrufen kann, und es muss die Genehmigung des Betreuungsgerichtes beziehungsweise des gesetzlichen Vertreters eingeholt werden. Darüber hinaus sollen Zwangsbehandlungen möglich sein, Der Gesetzentwurf bringt mehr Rechtssicherheit, sagt Sylvia Claus, Chefärztin der Erwachsenenpsychiatrie im Pfalzklinikum, auf Anfrage. Und Noetzel ergänzt: Der Entwurf bringe mehr Struktur in das Verfahren zur Zwangsbehandlung und standardisiere die Entscheidungsfindung. Allerdings könnte das Verfahren zur Einleitung einer Zwangsbehandlung künftig mehr Zeit beanspruchen, erwartet Sylvia Claus. Daraus dürfte ein längerer Klinikaufenthalt resultieren. Im Zusammenhang mit dem bundesweit geplanten neuen pauschalierten Finanzierungssystem „PEPP“ können sich daraus Schwierigkeiten mit den Kosten der stationären Behandlung solcher Patienten ergeben, die nach dem Gesetz für psychisch kranke Personen in der Klinik untergebracht sind. Durch die längere Verweildauer ergebe sich auch ein höherer Anteil von nichtbehandelten Patienten. Dies werde zu einem veränderten Stationsklima mit höheren Belastungen für Mitpatienten und Mitarbeiter führen. Außerdem dürften mehr freiheitsentziehende Maßnahmen (Festhalten, Fixieren, Isolieren) die Folge sein .

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