Rheinland-Pfalz „Brauchen Mut zu regionalen Lösungen“

Fast ein Vierteljahrhundert stand Walter Bockemühl an der Spitze der AOK im Südwesten. Zum Jahresbeginn hat Irmgard Stippler den Vorstandsvorsitz der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland übernommen. Jürgen Müller befragte die neue Krankenkassen-Chefin nach den ersten 100 Tagen im Amt zu ihren Vorstellungen und Plänen.

Sie wurden in Bonn geboren, haben in Freiburg und München studiert und unter anderem in Berlin und Bonn gearbeitet. Jetzt befindet sich Ihr Büro in der pfälzischen Kleinstadt Eisenberg. Fällt Ihnen diese Umstellung schwer?

Mich hat immer die Aufgabe zum Ortswechsel bewogen. Hier in Eisenberg habe ich die Aufgabe, eine gute Versorgung für die Versicherten der AOK anzubieten. Ich lerne viele neue Menschen kennen, habe die Natur vor der Tür. Dafür bin ich dankbar, ich fühle mich wohl hier. Sie sind die einzige Frau an der Spitze der 15 größten Krankenkassen in Deutschland. Welche Tipps haben Sie für junge Frauen, die wie Sie Karriere und Familie unter einen Hut bringen wollen? Ich möchte Frauen dazu motivieren, ihren Weg zu gehen. Dabei lauten meine Tipps: Verfolge mutig dein Ziel, bleib bei dir selbst, lass dich nicht von deinem Weg abbringen und gehe auch mal Umwege. Denn das Leben ist voller Überraschungen. Das Gesundheitswesen haben Sie beruflich im Krankenhausbereich kennengelernt. Dabei handelt es sich um den größten Ausgabenblock für die Krankenversicherung. Sehen Sie hier in Rheinland-Pfalz Einsparpotenziale, wird beispielsweise zu viel operiert? Was ich gelernt habe ist: Im Krankenhaus muss an erster Stelle die Qualität stehen. Gute Qualität beruht auf Erfahrung, Routine und Zusammenarbeit des Krankenhauspersonals. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, ist auch Qualität mit der Wirtschaftlichkeit vereinbar. Unsere Aufgabe ist es deshalb, den Qualitätsaspekt in der Krankenhausversorgung und -planung zu stärken, um eine gute und zugleich bezahlbare Versorgung zu sichern. Bundesgesundheitsminister Gröhe hat vor kurzem von Überkapazitäten im Krankenhausbereich gesprochen. Können Sie die auch in Rheinland-Pfalz erkennen? Eine Diskussion allein über die Bettenzahl ist zu kurz gesprungen. Wie schon gesagt: Qualität muss der zentrale Orientierungspunkt sein. Dazu bietet die AOK auf ihrer Internetseite zum Beispiel den Krankenhaus-Navigator an. Über diesen können Patienten schnell und einfach die Kliniken in ihrer Region mit den niedrigsten Komplikationsraten und der geringsten Zahl an Folgeeingriffen finden. Heißt das dann zu Ende gedacht: Liefern Krankenhäuser eine unterdurchschnittliche Behandlungsqualität ab, bleiben die Patienten aus, zumindest die informierten? Und verschwinden dann nach Ihrer Erwartung Überkapazitäten aufgrund wirtschaftlicher Zwänge? Am Ende geht es doch darum, dass die Patienten das sicherer Gefühl haben, eine gute Behandlung zu bekommen. Natürlich bedeutet der Fokus auf Qualität auch, dass sich die Versorgungslandschaft weiterentwickeln wird. Es scheint immer schwieriger zu werden, junge Mediziner für die Arbeit auf dem Land zu gewinnen. So manche Landarztpraxis findet auch in Rheinland-Pfalz keinen Nachfolger. Wie könnte drohenden Versorgungslücken vorgebeugt werden? Aktuell ist die Versorgung noch gut auf dem Land. Aber wir müssen sie für die Zukunft aktiv sichern. Beispielsweise durch Förderung von Medizinstudenten, die aufs Land gehen, durch Zweit- oder Gemeinschaftspraxen, durch die Möglichkeit in Krankenhaus und Praxis zu arbeiten, durch die Übertragung bestimmter Tätigkeiten auf Pflegekräfte oder auch durch die Übernahme ambulanter Tätigkeiten durch kleine Krankenhäuser. Es gibt da keine Patentrezepte. Für jede Region müssen passgenaue Lösungen gefunden werden. Ich wünsche mir einen regionalen Gesundheitsdialog, in dem Vertreter von Krankenhäusern, von Ärzten und Krankenkassen sowie aus der Politik die jeweils richtige Lösung entwickeln. Die Versorgung sollte immer aus der Region entwickelt werden, wir brauchen Mut zu regionalen Lösungen. Nicht zuletzt, um die Hausarzt-Tätigkeit attraktiver zu machen, wurde in Rheinland-Pfalz ein flächendeckendes Netz von Bereitschaftsdienstzentralen für die ambulante Versorgung in der Nacht und am Wochenende geknüpft. Häufig sind diese Zentralen bei Krankenhäusern angesiedelt. Ist das eine sinnvolle Lösung? Bereitschaftsdienstzentralen sind eine gute Sache. Ärzte können mit ihrer Hilfe Beruf und Familie besser verbinden. Die Anbindung an Krankenhäuser halte ich für eine gute Lösung. Dadurch wird die Versorgung gebündelt. Erscheint eine stationäre Behandlung notwendig, ist die räumliche Nähe zum Krankenhaus gegeben. Seit Januar 2013 bleibt den Patienten die ungeliebte Praxisgebühr von zehn Euro pro Quartal erspart. Führt das zu Kostensteigerungen, weil Versicherte nun wieder häufiger mehrere Ärzte wegen des gleichen Leidens aufzusuchen? Es kann gute Gründe für einen Patienten geben, eine Zweitmeinung einzuholen. Wir können nicht beobachten, dass die Abschaffung der Praxisgebühr zu mehr Arztbesuchen geführt hat. Meist ist der Hausarzt noch immer derjenige, der zum Facharzt oder ins Krankenhaus überweist. Kaum im Amt, haben Sie sich im Januar zur Vorsitzenden des Verwaltungsrates beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Rheinland-Pfalz wählen lassen. Warum? Diese Entscheidung lag zunächst in anderen Händen. Zuerst hat der AOK-Verwaltungsrat seine Mitglieder bestimmt, die er in den neuen MDK-Verwaltungsrat entsendet. Dann hat mich der neue MDK-Verwaltungsrat vorgeschlagen und geschlossen gewählt. Dieser Vertrauensbeweis ist für mich eine Frage der Verantwortung, mich dieser Aufgabe zu stellen. Ab 2015 sinken die Krankenkassenbeiträge von 15,5 auf 14,6 Prozent. Über kurz oder lang werden die Kassenmitglieder daran aber wenig Freude haben: Die Bundesregierung will künftige Kostensteigerungen im Gesundheitswesen allein ihnen aufbürden, um die Arbeitgeber nicht zusätzlich zu belasten. Können Sie absehen, wie sich diese Neuerung bei der AOK auswirken wird? In dem neuen Gesetz wird auch dem Solidargedanken Rechnung getragen: Versicherte müssen nicht deswegen mehr Beiträge zahlen, weil ihre Krankenkasse viele Mitglieder mit einem niedrigeren Einkommen als der Durchschnitt hat. Außerdem bleibt abzuwarten, wie der Bundesgesetzgeber den Finanzrahmen genau abstecken wird. Für uns gilt die Orientierung: Beste Versorgung zu vernünftigen Beitragssätzen. Vor zweieinhalb Jahren ist die Fusion der AOK mit der IKK Südwest geplatzt. Politisch scheint gewollt, die Zahl der Krankenkassen in Deutschland zu verringern. Ist für Sie ein neuer Anlauf für eine Fusion ein Thema? Die AOK Rheinland-Pfalz/Saarland ist gesund aufgestellt. Wir tun alles, um die AOK gesund zu halten und eine gute Versorgung anzubieten. Das heißt? Die Zukunft ist immer offen. Wir verschließen uns keinem guten Weg im Sinne der Versicherten. Wenn Sie einen Wunsch beim rheinland-pfälzischen Gesundheitsminister Alexander Schweitzer freihätten, wie würde der lauten? Mein Augenmerk gilt vor allem dem Qualitätsthema. Mein Wunsch wäre, dass sich Politik und die Gesundheitspartner auf einen Qualitätskompass verständigen. Dieser Kompass könnte den Menschen Orientierung für eine gute und sicher Versorgung geben.

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