Kaiserslautern/Mainz Im Wald: Vorsicht vor giftigen Pilzdoppelgängern

Schön anzusehen aber nicht genießbar: Fliegenpilze.
Schön anzusehen aber nicht genießbar: Fliegenpilze.

Pilzesammeln ist wieder im Trend. Waren nach dem Supergau im Atomkraftwerk Tschernobyl 1986 die Waldfrüchte noch – im wahrsten Sinne – mit Vorsicht zu genießen, erfreut sich die Suche nach Steinpilzen oder Parasolen wieder wachsender Beliebtheit. Im Internet auf Social-Media-Plattformen wie Tiktok zeigen sich Nutzer beim Sammeln im Wald und geben Tipps. Pilzsammler müssen jedoch achtsam sein, denn ein falscher Griff kann unter Umständen tödlich enden, warnt Pilzexperte Dietmar Theiss. Denn einige beliebte Speisepilze haben giftige Doppelgänger.

Das für drei Bundesländer verantwortliche Giftinformationszentrum (GIZ) der Universitätsmedizin in Mainz hat in diesem Jahr bislang 437 Anfragen wegen möglicher Pilzvergiftungen erhalten. Ab Mitte September habe es über mehrere Wochen einen besonders rasanten Anstieg der Fälle gegeben, sagte der Toxikologe und Leiter des Zentrums, Andreas Stürer, der Deutschen Presse-Agentur. Dies sei wahrscheinlich mit günstigen Wetterbedingungen zu erklären: Bei feuchtem, vergleichsweise mildem Wetter sei das Pilzwachstum besonders begünstigt gewesen. „Wahrscheinlich wird dieses Jahr unter den ersten zehn mit den häufigsten Pilzvergiftungen seit 1995 landen, vielleicht den ersten fünf,“ sagte Stürer. Das GIZ ist für die Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland zuständig.

Der Griff zum falschen Pilz kann tödlich sein

Auch beim Kochen der Pilze ist Achtsamkeit gefragt: Erst vor kurzem musste im saarländischen Bous ein älteres Ehepaar und seine erwachsene Tochter mit Vergiftungssymptomen in eine Klinik eingeliefert werden. Sie hatten selbstgesammelte Pilze gegessen, hieß es laut Polizei. Alle drei hätten über Unwohlsein geklagt, der 69 Jahre alte Vater habe sogar Halluzinationen gehabt. Laut Polizei sei die Vergiftung durch einen Zubereitungsfehler zustande gekommen.

Pilzsachverständiger Dietmar Theiss
Pilzsachverständiger Dietmar Theiss

Der Griff zum falschen Pilz kann schnell gehen, sagt Dietmar Theiss. Er ist geprüfter Pilzsachverständiger bei der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM). Pilzsammler oder auch die Mitarbeiter des GIZ wenden sich an ihn, wenn es Unklarheiten bei der Bestimmung der Pilze gibt. „Erst kürzlich habe ich nur zwei Zentimeter neben einer Gruppe essbarer Stockschwämmchen einen tödlich giftigen Gifthäubling gesehen“, so Theiss. Die Pilze sehen für den Laien zum Verwechseln ähnlich aus. Daher ist Theiss’ größtes Credo beim Sammeln: Vorsicht. Er sammle seit über 20 Jahren Pilze, seit zehn Jahren ist er Pilzsachverständiger. Er habe noch nie aus Versehen einen giftigen oder ungenießbaren Pilz gegessen. Ist er sich beim Bestimmen eines Pilzes unsicher, sieht er lieber vom Verzehr ab. „Wir machen das ja zum Spaß. Wenn wir keine Pilze aus dem Wald essen, müssen wir ja nicht hungern.“

Pilzsammler können sich bei ihm oder einem seiner Kollegen der DGfM rückversichern. „Bestimmt man Pilze, muss man immer 100 Prozent sicher sein, 99 reichen da nicht“, sagt Theiss und erzählt, dass erst vor kurzem eine Frau einen Korb voller – wie sie meinte – Pfifferlinge zu ihm brachte. Sie sei sich zu 99 Prozent sicher gewesen. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie ungenießbare Gabelblättlinge – auch falscher Pfifferling genannt – gesammelt hatte. „Hätte sie die gegessen, wäre es nicht tödlich gewesen, aber sie hätte Verdauungsbeschwerden bekommen.“ Solche Funde macht Theiss immer wieder, tödlich giftige Pilze habe man ihm aber bislang noch nicht gebracht. „Ich denke, dass die Leute, die zu mir kommen, ohnehin vorsichtiger sind.“

Ein gut gefüllter Korb reicht für ein leckeres Abendessen.
Ein gut gefüllter Korb reicht für ein leckeres Abendessen.

Das wichtigste, um möglichst gefahrlos Pilze zu sammeln, ist in Theiss„ Augen Erfahrung. Er selbst habe sich lange beispielsweise vor wilden Champignons gehütet. Denn ihre Doppelgänger sind ein paar der giftigsten Pilze in deutschen Wäldern: mehrere weiße Arten von Knollenblätterpilzen.

Tritt Unwohlsein auf, nachdem man selbstgesammelte Pilze gegessen hat, sollte man umgehend den Giftnotruf kontaktieren. Dessen Mitarbeiter ziehen dann einen Pilzexperten wie Dietmar Theiss zurate, um die verzehrten Pilze zu bestimmen. Dabei kann helfen, einen Rest der gesammelten Pilze oder jeden einzelnen Pilz zu fotografieren. „Das kann ein Stück Sicherheit geben und beim Bestimmen Hinweise geben“, sagt Theiss.

Vorsichtshalber Gegengift empfohlen

„Die Berater sind froh, wenn die Pilzsaison vorbei ist. Das ist die schwierigste Beratung,“ sagte Stürer. Wegen der nicht immer einfach zu erkennenden Vergiftungen werden teils auch sicherheitshalber Gegengifte empfohlen, so Stürer. Da Pilzvergiftungen auch tödlich enden können, sei Vorsicht geboten.

So empfahl das GIZ in über 40 Prozent der Fälle Betroffenen, einen Arzt oder ein Krankenhaus aufzusuchen. „Der überwiegende Teil der Leute meldet sich mit Magen-Darm-Beschwerden“, sagte Stürer zu den Symptomen. Weil diese etwa auch auf verdorbene Speisepilze, psychische Gründe oder Lebensmittelunverträglichkeiten zurückgehen können, sei eine trennscharfe Diagnose einer Pilzvergiftung anhand der Symptome allein nicht möglich.

Nach Angaben der DGfM gibt es in Mitteleuropa rund 10.000 Großpilze. Knapp 200 Arten sind essbar und 150 giftig, etwa zehn davon tödlich.

Info:

Den nächsten Sachverständigen findet man auf der Seite der Gesellschaft für Mykologie unter www.dgfm-ev.de/service/pilzsachverstaendige.

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