Panorama Zürich: Leben im leeren Hotel

Das ehemalige Hotel „Dolder Waldhaus“ in Zürich nutzen Menschen zur Zwischenmiete. Frühestens Ende 2019 wird es abgerissen.
Das ehemalige Hotel »Dolder Waldhaus« in Zürich nutzen Menschen zur Zwischenmiete. Frühestens Ende 2019 wird es abgerissen.

«Zürich». Hohe Mieten, viele Wohnungssucher: In Zürich boomt das Konzept der „Zwischenmiete“, bei dem Menschen vorübergehend in leerstehenden Gebäuden wohnen – für wenig Geld und manchmal auch mit einem traumhaften Ausblick.

Der Blick von der Terrasse ist grandios. Andrea Forgacs liegen Zürich, der See dahinter und bei gutem Wetter sogar das Alpenpanorama zu Füßen. Bei so einem Ausblick wäre selbst ein Einzimmer-Apartment in der Schweizer Metropole kaum unter 1600 Euro monatlich zu haben. Forgacs hat für etwa die Hälfte ein Schnäppchen ergattert: Ein Zwei-Zimmer-Apartment im ehemaligen Vier-Sterne-Hotel „Dolder Waldhaus“ in bester Lage. „Yoga vor den Riesenfenstern ist doppelt erholsam“, schwärmt sie. Das Haus mit 70 Zimmern und Apartments aus den 70er Jahren wird abgerissen, aber nicht vor Ende 2019. Bis dahin wohnen dort rund 100 Leute zwischen 18 und 75 günstig zur „Zwischenmiete“. In einer Stadt, in der Wohnraum rar ist und Mieten hoch sind, boomt dieses Geschäft, sagt der Immobiliendienstleister Wüest. Wo früher die Lobby war, stehen jetzt Tischtennisplatte und Billardtisch. Auf dem abgedeckten einstigen Swimmingpool lockt ein Box-Ring, in der Gemeinschaftsküche gibt es lange Tische, daneben gemütliche Leseecken mit dicken Sitzkissen. Ein paar Bewohner haben die Regeln für die Teilnahme am Tischtennisturnier an die Wand genagelt. „Es ist ein Haus der Begegnung“, sagt Forgacs. Die 32-Jährige aus Bad Oeynhausen hat in Zürich eine Galerie. Künstler haben schon in dem Ex-Hotel ausgestellt, in der Küche plaudern Bewohner beim Essen. „Da entsteht etwas“, sagt Forgacs. Anders als in den meisten Mietshäusern habe hier jeder Lust auf neue Kontakte. „Wir achten immer auf eine gute Mischung, hier sind Studenten, Rentner, Schweizer, Ausländer, Unternehmer und Arbeiter eingezogen“, sagt Lukas Amacher. Der Jurist landete auf der Suche nach einem Musikstudio vor ein paar Jahren selbst in einer Zwischenmiete und weiß: „So können sich spannende Kontakte und beruflich neue Netzwerke ergeben.“ Amacher traf in der Zwischenmiete auf seine heutigen Partner, 2013 ging ihre Firma Interim an den Start. Sie richtet leerstehende Zimmer her und managt sie. Günstige Preise und das gemeinschaftliche Ambiente sind dabei wichtig: „Wir sind keine Dienstleister für Luxusnutzungen“, betont Amacher. Die Firma hat schon 100 Projekte umgesetzt, von der Villa über das Mehrfamilienhaus bis zur Büroetage und dem Industrieareal. Zwischenmiete als günstiger Wohnraum: „Eine zukunftsfähige Idee“, findet Melanie Humann, Professorin für Nachhaltigen Städtebau in Dresden. „Es gibt gerade in Städten immer eine Klientel, der es reicht, keine langfristige Wohnperspektive zu haben.“ In Deutschland habe es Ähnliches vor 15 Jahren gegeben, etwa in Berlin. Allerdings wurden ungenutzte Räume dort vor allem von Kulturschaffenden oder Gewerbetreibenden vorübergehend genutzt. Sie gibt zu bedenken: „Die Grundidee ist immer gut, aber so etwas kann leicht mit Profitgier ausgenutzt werden.“ Auf dem Gebiet der Zwischen- oder Umnutzung bestehender Gebäude ist die Basler Architektin Barbara Buser eine Pionierin. Sie will Gebäude und Areale vor dem Abriss retten. „Mit einem Traum fing es an“, sagt sie, im Jahr 2000, als mitten in Basel ein Grundstück mit alten Fabrikhallen abgerissen werden sollte. Buser und Kollegen bekamen mit ihrem damals verwegenen Projekt den Zuschlag. Heute ist das 12.000 Quadratmeter große Areal ein pulsierendes Viertel mit Handwerkern, Restaurants und Läden und einer langen Warteliste von potenziellen Mietern. „Hier arbeiten wieder 250 Leute wie früher in der Fabrik, und wir haben jeden Tag rund 1000 Besucher“, sagt Buser. In Zürich bewohnen Forgacs und ihre Partnerin zwei Hotelzimmer im siebten Stock. „Der Platz reicht uns“, sagt Forgacs. Ihre 80-Quadratmeter-Wohnung hatten sie aufgegeben, um sich zu verkleinern. Nach dem Wohnen im Hotel wollen sie eine noch kleinere Wohnung beziehen.

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