Panorama Interview: Die Psychologin Lilli Gast über die Motivation von Horrorclowns

Meist sind es junge Männer, die ihr Gesicht hinter Horrorclown-Masken verbergen.
Meist sind es junge Männer, die ihr Gesicht hinter Horrorclown-Masken verbergen.

Wenn im Herbst die Nächte länger werden, ist Halloween nicht weit. Auch angesichts des Kinostarts der Neuverfilmung von Stephen Kings „Es“ stellt sich die bange Frage: Kehren die Horrorclowns zurück? Wir sprachen mit der Psychologin Lilli Gast darüber, was Menschen antreibt, andere mit Masken, Messern oder Hämmer zu erschrecken.

Frau Gast, warum verkleiden sich Menschen als Clowns, um dann andere zu erschrecken?

Sicherlich gibt es viele Motive, andere zu erschrecken und zu ängstigen. Ein ganz banales Motiv dürfte sein, sich der Affekte des anderen zu bemächtigen, also Macht und Kontrolle auszuüben. Warum brauchen manche Menschen ein Gefühl von Macht und Kontrolle? Grundsätzlich kann man vermuten, dass die Notwendigkeit, andere in Angst und Schrecken zu versetzen, in einem Gefühl der eigenen Schwäche liegt. Die schreckgeweiteten Augen des anderen spiegeln die vermeintliche eigene Stärke und Potenz. Ein sadistisches Spiel also, in dem die eigene Angst abgewehrt und zur Angst des anderen wird. Wer steckt hinter den Masken? Mir liegen keine genauen Studien vor, schon gar nicht für Deutschland. Es scheint sich aber fast ausschließlich um junge Männer zu handeln. Das Ganze hat ja als Streich in den USA begonnen und ist dann saisonal vor Halloween aus dem Ruder gelaufen. Die Frage aber scheint mir doch viel eher zu sein, warum das erst in jüngster Zeit so aufgekommen ist. Haben Sie eine Antwort darauf? Ich vermute, dass es eine Begleiterscheinung zu dem ebenfalls nach Europa schwappenden Terror ist. Die Horrorclowns sind ja eine Subform des Terrors. Sie verbreiten Angst, indem sie als unberechenbare, anarchische Figur in eine geordnete Realität einbrechen. Sind solche Clowns deshalb so erschreckend, weil sie eigentlich mit Spaß und Kinderbelustigung assoziiert werden? Clowns sind nie nur spaßig und lustig. Sie sind immer ambivalente Figuren, auch für Kinder. Sie brechen Regeln, sind anarchisch und unberechenbar. Anders als Horrorclowns aber markieren sie ihre erratischen Aktionen als lustig, indem sie selbst lachen oder etwas betont Lustiges tun. Ein Clown, der nur stumm agiert, wirkt auf Kinder bedrohlich. Wieso? Die Grenze zwischen Fantasie und Realität verschwimmt. Das halten wir nur begrenzt aus. Der Einbruch des Fiktiven ins Reale wird als Bedrohung erlebt, es sei denn, es geschieht in einem geschützten Raum wie in einem Kino oder einer Märchenstunde. Dann sorgt das Setting für Beruhigung und man kann sich dem Genuss des Grusels hingeben. Wir sprechen hier von Angstlust. Leiden Opfer unter Langzeitfolgen? Unter Umständen ja. Das hängt von den psychischen Ressourcen des Einzelnen ab. Es ist ein traumatisches Erlebnis, in dem ein Albtraum oder eine Angstfantasie Realität wird. Auch für Erwachsene ist ein Erlebnis mit einem Horrorclown nicht einfach ein Schreckmoment. Es ist kein kurzes „Huch“, das sich sogleich wieder in Realität einordnen lässt. Sondern? Vielmehr wird in einem solchen Übergriff die Unterscheidung zwischen Innen und Außen, zwischen Fantasie und Realität aufgekündigt. Fiktive Gefahr wird zur Realität und in der Folge auch durch eine Realitätsprüfung bestätigt: „Ich bilde mir das nicht nur ein, es ist auch so!“ Das ist das eigentlich Traumatisierende. Haben Sie einen psychologischen Tipp, wenn es zu einer Begegnung mit einem Horrorclown kommt? Ich denke, die beste Reaktion ist, konsequent bei sich zu bleiben und sich gegen diesen Übergriff psychisch zur Wehr zu setzen. Der Täter will Kontrolle über meine Gefühle, er will mein Entsetzen und bleibt selbst hinter seiner Maske zurück. Hinter der Maske verbirgt sich aber kein Joker, sondern ein kleines Würstchen. Was heißt das konkret? Der Horrorclown tut so, als sei er die Inkarnation tiefsitzender Ängste. Sich psychisch zur Wehr setzen heißt, sein Spiel zu durchschauen und ihm diese Maskerade nicht zu bestätigen, nicht mitzuagieren, wie wir sagen würden, sondern ihm einen Platz in der Realität zuzuweisen. Das ist schwer. Zur Person Lilli Gast war bis zum Frühjahr 2017 Professorin für Theoretische Psychoanalyse und psychoanalytische Subjekttheorie an der 2009 gegründeten privaten International Psychoanalytic University (IPU) in Berlin. Sie beendete nach acht Jahren sowohl ihre Lehrtätigkeit als auch die IPU-Vizepräsidentin, um sich wissenschaftlichen Projekten widmen zu können. | Interview: Antonia  Horrorclowns tauchen seit einigen Jahren immer wieder, vor allem rund um Halloween auf - auch in der Pfalz, zum Beispiel in Frankenthal am 2. November 2016 oder am 26. Oktober 2016 in Böhl-Iggelheim. 

x