Sprache Der Trend geht zum „Du“

Im Büro ist immer öfter „Du“ statt „Sie“ zu hören.
Im Büro ist immer öfter »Du« statt »Sie« zu hören.

Ein Knigge-Experte analysiert den Wandel der Anredeformen. Für ihn ist klar: Das Duzen hat sich durchgesetzt. Es könnte allerdings auch wieder verschwinden.

Wir leben in einer Kultur des Duzens: ob in den sozialen Netzwerken, am Arbeitsplatz, im Radio oder auf den Internetseiten vieler Banken. Das „Du“ ist mittlerweile fester Bestandteil der Alltagskommunikation in Deutschland. Das „Du“ ist inzwischen sogar dort gang und gäbe, wo es früher gar nicht denkbar gewesen wäre.

Für den Business-Etikette-Trainer Clemens Graf von Hoyos ist das die Folge einer Entwicklung, die bereits vor Jahrzehnten eingesetzt hat. Der Trend könnte sich aber auch wieder ändern, sagt er. Wohl nicht zuletzt mit Blick auf das Benimmbuch, das Adolph Knigge im Jahr 1788 verfasste. In dem Werk des Freiherrn über Umgangsformen steht so einiges, was sich im Lauf der Zeit geändert hat.

Nicht nur im Deutschen

Die Abgrenzung zwischen dem „Du“ und „Sie“ ist übrigens kein Alleinstellungsmerkmal der deutschen Sprache. Das hat eine Analyse des World Atlas of Language Structures ergeben. Demnach wird in mehr als der Hälfte der 207 untersuchten Sprachen keine Unterscheidung zwischen dem Duzen und Siezen getroffen – zu diesen Sprachen zählt beispielsweise das Englische. 49 Sprachen hingegen weisen wie das Deutsche ein binäres System auf (also eine Zweiteilung wie das „Sie“ und das „Du“). Mehr als ein Dutzend Sprachen haben sogar ein noch komplexeres Höflichkeitssystem. Dazu zählt Japanisch.

„Vor rund 200 Jahren hat man es noch möglichst vermieden, das Gegenüber überhaupt mit einem Pronomen anzusprechen“, sagt Hoyos, der seit knapp zehn Jahren Vorsitzender der Deutschen-Knigge-Gesellschaft ist. „Ich hoffe, Ihre Hochwohlgeboren haben gut geschlafen“, hieß es damals. Daraus wurde dann „Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen, Herr Mustermann“. Und schließlich lautete der Satz: „Ich hoffe, Du hast gut geschlafen“.

Drehe man diese Entwicklung weiter, so Hoyos, könnte es sein, dass irgendwann gar nicht mehr mit Namen und Anrede hantiert werde. Die Frage würde dann vielleicht lauten: „Jo, Diggi, gut geschlafen?“

Irgendwann gar keine Zusätze mehr?

Vor dem Hintergrund einer Sprache, die auch nichtbinäre Personen mitdenkt – also diejenigen mit berücksichtigen will, die sich nicht den Kategorien von Mann und Frau zuordnen wollen –, könnte sich Hoyos vorstellen, dass irgendwann auf entsprechende Zusätze verzichtet werde. In Mails könnte das etwa so aussehen: „Guten Tag, Erika Mustermann.“ Es gehe in der Kommunikation schließlich vorwiegend darum, sich auf andere Personen einzustellen.

Umgangsformen unterlagen laut Hoyos schon immer Wellenbewegungen. Ausgeschlossen sei es daher nicht, dass das Siezen in den kommenden zwei Jahrzehnten wieder prominenter werde. Hoyos verweist zur Illustration auf den Philosophen Arthur Schopenhauer, der 1851 in seiner Parabel der Stachelschweine folgendes Phänomen beschrieb: An kalten Wintertagen drängen sich die Tiere recht nah zusammen, um sich zu wärmen. Sobald sie zusammenrücken, piksen sie sich jedoch und gehen wieder auf Distanz. Ähnlich könnte es sich, so Hoyos, mit der Anrede verhalten: Es sei immer ein Ringen um Nähe und Distanz.

Im Radio zu hören

Vor allem in der Unterhaltungsbranche wird das Duzen mit dem Wunsch nach Zusammengehörigkeit begründet. Seit Monaten geht etwa der Hörfunksender WDR 2 verstärkt dazu über, seine Hörerinnen und Hörer zu Duzen. Der Gedanke dahinter: das Community-Gefühl zu stärken und Menschen enger an den Sender zu binden.

Für Hoyos ist das eine nachvollziehbare Überlegung. Bindung hänge maßgeblich davon ab, was Menschen zusammen erlebt und durchlebt hätten. Das „Du“ spiegelt Gemeinschaft vor. Zwangsweise notwendig für den Erfolg bei den Hörern sei der Schritt aber wohl nicht.

Für den einen ist das Duzen dem Etiketten-Experten zufolge eine vertrauensvolle Kommunikation auf Augenhöhe, doch für manch anderen stellt das „Du“ eine Grenzüberschreitung dar. Um das „Du“ richtig anzuwenden, brauche es immer auch Feingefühl, mahnt der Experte.

Wechsel zum „Sie“ geht nicht

Auf jeden Fall gelte: einmal Du, immer Du. Er selbst sei deshalb kein Fan von sogenannten Golfplatz- oder Workshop-„Dus“, sagt Hoyos. Dass beispielsweise Möbelhäuser ihre Kundinnen und Kunden duzten, bei Mahnungen dagegen wieder zum „Sie“ wechselten, sei „gegen jede Etikette und einfach nur schlechter Stil“.

Besonders am Arbeitsplatz dürfe man sich von einer Kultur des Duzens nicht täuschen lassen, betont Hoyos. Oft werde dadurch suggeriert, dass in einem Unternehmen besonders flache Hierarchien herrschten – obwohl dies in der Realität nicht der Fall sei. Kultur, auch im Unternehmen, fange „im Kopf an und ist keine Frage des Duzens oder des Krawatte-Tragens“, findet Graf von Hoyos.

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