Zweibrücken Mahnmal statt Denkmal

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Kann man Dieter Hildebrandt nachmachen? Ein Schauspieler kann das. Ein guter Schauspieler wie Walter Sittler wird das aber tunlichst sein lassen. Am Freitag hat Sittler mit seinem Programm „Letzte Zugabe“ Hildebrandts Texte letzter Hand im Rahmen des Festivals Euroclassic in der mit 500 Zuschauern gut besuchten Pirmasenser Festhalle respektvoll Gestalt gegeben.

Es ist vermutlich einfacher, den von Hildebrandt wie Sittler gleichermaßen hoch verehrten Erich Kästner zu spielen – was Sittler ja auch bereits zweimal in Pirmasens mit gewaltigem Erfolg getan hat. Denn Kästner war „nur“ Dichter, Autor, Philosoph, Moralist und ein „großer Liebhaber“, wie Werner Schneyder geschrieben hatte. Auf Dieter Hildebrandt treffen viele, vielleicht sogar die meisten der Attribute zu, die man Kästner zuschreibt. Mit ihm verband ihn die kreatürliche Wut auf Nazis und deren Nachfahren, die Erfahrung des Weltkriegs, der Pazifismus und – ganz wichtig – das Verständnis für historische Zusammenhänge und die Folgen. Er war wie Kästner ein blendender Beobachter, Sprachverliebter und keinem Kalauer abholder, „scharfer“ Schreiber. Aber Hildebrandt war auch Schauspieler, Bühnenkünstler, einer der das Publikum suchte. Von Anfang an. Ein Bühnenmann, auch und trotz seiner Fernsehpräsenz mit „Scheibenwischer“ oder als der Fotograf Herbie Fried in „Kir Royal“. Hildebrandt hatte Bühnenmarotten: das hyperventilierte Sprechen und gewollte Versprechen, die Fähigkeit, auch verdrehteste Satzbauten über die Rampe zu bringen, und – unvergessen - die grandiose Arbeit mit der Brille. Wie leicht wäre es einem Schauspieler wie Walter Sittler wohl gefallen, all das eins zu eins zu imitieren. Er geht lieber den schweren Weg: „under acting“ heißt das bei Robert De Niro. Sittler spielt natürlich mit den Sprech-Marotten von Hildebrandt, aber immer nur gerade so weit, dass den Zuhörer das Gedenken an den großen Kabarettisten höchstens anweht. Sittler gibt nicht Hildebrandt, er zeigt ihn uns. Und Dieter Hildebrandt ist selbst in diesen Texten aus „Letzte Zugabe“, die kurz vor seinem Tod im November 2013 entstanden und im letzten Jahr als Buch veröffentlicht worden sind, ein guter Autor. Noch auf seinen letzten Metern war er scharf, sogar uncharmant, tagesaktuell, aufgebracht, ja wütend, entschieden gegen Lüge, Machtmissbrauch, Unaufrichtigkeit und ein Savonarola gegen die Dummheit: menschliche, historische, politische und sprachliche. Natürlich wird Sittler, der sich gegen das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ in Position gebracht hat, einen Hildebrandt-Text zum Thema bringen. Aber das ist nebensächlich. Walter Sittler gibt uns eine Vorstellung davon, wie Hildebrandt, der sich ja mit Lust an CSU-Granden abgearbeitet hat, geschäumt hätte, angesichts dessen, was aus Bayern aktuell zur Flüchtlings-Debatte eingebracht wird. Sittler errichtet mit „Letzte Zugabe“ kein Denkmal für Dieter Hildebrandt, er bringt ihn als Mahnmal gegen Dummheit und Menschenverachtung in Position.

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