Speyer Wem gehört die Geschichte?

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Nirgends wird so hemmungslos geklaut wie im Internet. Das Stadtarchiv Landau erlaubt daher nicht, dass Material aus den eigenen Beständen im Internet verwendet wird – nicht einmal bei seriösen Projekten. Landauer Filmemacher halten diesen Umgang mit historischem Material für kontraproduktiv.

Die Landauer Psychologen Gabriele und Werner Knauf wollen den Lebensweg des 90-jährigen Fritz Pechovsky aus Ettlingen filmisch nacherzählen. Doch ausgerechnet das Stadtarchiv ihrer Heimatstadt wirft ihnen bei der Nutzung historischen Materials Knüppel zwischen die Beine, indem es sich mit strengen Klauseln gegen Urheberrechtsverstöße im Internet absichern will. Werner Knauf hat dafür angesichts des wilden Materialklaus durchaus Verständnis, aber mit ihren rigiden Regeln verhindere die Stadt jede Nutzung historischer Quellen – und das sei nicht Sinn eines Archivs, sondern kontraproduktiv. Der nicht-kommerzielle Film „Fritz – ein Leben“ ist fast fertig. Er ist ein Beitrag zur Erinnerungsarbeit und entsteht im Auftrag des Vereins „Freunde alter Menschen“. Seniorenorganisationen auf Bundes- und Länderebene unterstützen das Projekt. Der Film zeichnet in vielen Gesprächen den Lebensweg Fritz Pechovskys nach, der mit einer Hasenscharte im tschechischen Brünn zur Welt gekommen ist. Erst holten ihn die Nationalsozialisten heim ins Reich, dann schickten sie ihn als 17-Jährigen in den Krieg, der ihn zum Heimatvertriebenen machte, bevor er schließlich in Ettlingen sesshaft wurde. Erst spät begann er Gedichte und Kabarettprogramme zu schreiben und war Mitbegründer der Kleinen Bühne in Ettlingen. Kurz: ein bewegtes Leben, das in aller Einmaligkeit auch sehr typisch ist für eine ganze Generation. All dies schildern Gabriele und Werner Knauf, die bereits Filme über den Humboldt-Pinguin und über das Chronische Erschöpfungssyndrom gedreht haben, mit filmischen Mitteln. Dazu sind sie mit ihrem Protagonisten an die Originalstätten gereist, aber sie haben auch Archivmaterial gesichtet, mit dem sie die zeitgeschichtlichen Hintergründe erläutern wollten. Der frühere Leiter des Stadtarchivs Landau, Michael Martin, machte sie auf passende Filmsequenzen im Archivbestand aufmerksam – drei Schnipsel, 28 Sekunden lang, die bereits 2001 in dem Imagefilm „Landau – die alte Stadt mit Zukunft“ Eingang gefunden haben. Doch nach Knaufs Angaben hatte Christine Kohl-Langer, die heutige Leiterin des Archivs, Bedenken. Nach Rücksprache mit dem Rechtsamt „zur prinzipiellen Klärung des Sachverhalts“ hat sie die drei Sequenzen kostenlos zur Nutzung freigegeben. Die Auflage, dass sie nicht kommerziell genutzt werden dürfen, ist für das filmende Ehepaar kein Problem. Ausdrücklich untersagt wird jedoch das Einstellen in Internetportale und die Möglichkeit des kostenlosen Downloads. Doch genau das hatten die Knaufs vor: Nach der Premiere wollten sie ihren Beitrag auf der Videoplattform Vimeo (die mit wirksamen Datenschutzeinstellungen wirbt) einstellen und kostenlos für die Seniorenarbeit zugänglich machen. Kleine Ausschnitte sollten zudem den Internet-Projekten „Unsere Geschichte. Das Gedächtnis der Nation“ (www.gedaechtnis-der-nation.de) sowie „Memoro – Die Bank der Erinnerungen“ (www.memoro.org/de-de) zur Verfügung gestellt werden. „Wir haben jetzt halt die Bilder der Stadt rausgenommen“, sagt Werner Knauf nicht ohne Bedauern. Andere Archive gingen mit dem Thema besser um, findet er. Das Deutsche Historische Museum in Berlin sei sehr entgegenkommend gewesen, ganz bewusst auch, um „der braunen Soße etwas entgegenzustellen“, so Knauf. Das Bundesarchiv wünsche ebenfalls keine generelle Internetverbreitung, habe aber einiges an Material mit einer „creative-commons-Lizenz“ versehen, die die Nutzung unter Einhaltung einfacher Regeln ermöglicht. Etliche andere Stadtarchive sowie die Archive des Jüdischen Museums in Berlin, der Naturfreunde und der Hilfsorganisation Care hätten unkompliziert Material bereitgestellt. Er hält die Haltung der Stadt für falsch, weil historisch wertvolles und seltenes Material dann auch nicht seriös genutzt werden könne „und damit das Feld zweifelhaften Akteuren überlassen bleibt“. Knauf merkt auch an, dass es nicht ohne Ironie sei, dass die Stadt im erwähnten Film Bildmaterial von Privatpersonen nirgends kenntlich mache – was eigentlich eine Selbstverständlichkeit wäre. Archivleiterin Kohl-Langer sagte, dass Urheberschutz und Eigentumsrechte ein heikles Thema seien. Die von Knauf genannten Internetportale gingen verantwortungsvoll damit um, doch bei Facebook und Youtube verzichte man auf jegliche Rechte, und das wolle die Stadt nicht. Die Stadtverwaltung betont, es gehe ihr nicht um eine willkürliche Einschränkung von Nutzungsmöglichkeiten, sondern nur um Bedingungen, die jeder Filmproduzent eingehen müsse. Der SWR habe damit nie Probleme gehabt. Im Übrigen seien solche Nutzungsbedingungen zum Schutz der Urheber-, Bild- beziehungsweise Eigentumsrechte auch bei anderen Archiven nicht unüblich. (boe)

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