Speyer Psychologin bei Frauennotruf: „Wir brauchen eine Veränderung“

Nina Lindermaier
Nina Lindermaier

Nina Lindermaier engagiert sich beim Frauennotruf in Speyer insbesondere für Personen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Darüber hinaus bietet die 30-Jährige auch Veranstaltungen zur Gewaltprävention an. Wofür Lindermaier sich sonst noch einsetzt, erklärt sie Narin Ugrasaner im Interview.

Frau Lindermaier, welche Aufgaben übernehmen Sie im Frauennotruf?
Der Frauennotruf ist eine Fach- und Beratungsstelle zum Thema sexualisierte Gewalt und berät von sexualisierten Übergriffen betroffene Frauen und Mädchen sowie deren Bezugspersonen und Fachkräfte. Neben den Beratungen führe ich viele Präventionsveranstaltungen durch wie Workshops an Schulen zu digitaler Gewalt oder Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte. Aber auch politische Aufgaben, Vernetzung und organisatorische Arbeiten wie Buchhaltung gehören zu meinem Arbeitsfeld dazu.

Was ist das Schwierigste daran?
Betroffene von sexualisierter Gewalt schämen sich häufig für das Erlebte und geben sich selbst die Schuld – auch weil das sogenannte Victim Blaming, die Schuldumkehr, bei geschlechtsspezifischer Gewalt noch immer in der Gesellschaft verankert ist. Das macht es den Betroffenen besonders schwer, sich Hilfe zu holen. Schwierig auszuhalten finde ich meine Arbeit dann, wenn sich Institutionen oder Einzelpersonen aus Unwissen, mangelhafter Reflexionsfähigkeit oder patriarchalen Denkmustern den Betroffenen bei der Verarbeitung der Gewalt im Weg stehen und ihnen ihre Erfahrungen absprechen. Schwierig finde ich auch, dass wir in der Gesellschaft eine Bewegung feststellen müssen, die den Errungenschaften der Gleichstellung aller Geschlechter entgegenwirken möchte.

Was war ein besonders kurioses Erlebnis?
„Kuriose“ Momente erlebe ich immer wieder, wenn wir in der Fach- und Beratungsstelle bei Anfragen und Arbeitsaufgaben abwägen müssen, ob wir Kapazitäten für jene Aufgabe haben oder ob dadurch Nachteile für die nötige Hilfe und Unterstützung für Betroffene entstehen. Dieses Dilemma erschreckt mich jedes Mal aufs Neue, obwohl bereits seit einigen Jahren die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in Kraft ist. Leider wird unsere finanzielle und personelle Situation dem Ausmaß von Gewalt und den Aufgaben zur Bekämpfung nicht gerecht.

Warum machen Sie es gerne?
Gewalt gegen Frauen und Kinder ist ein strukturelles Problem und geht uns alle an. Wir brauchen eine Veränderung in unserer Gesellschaft. Dies gibt meiner Arbeit einen Sinn, der mich antreibt. Mir genügte es nicht mehr, nur in meiner Familie über diese Themen zu sprechen, sondern ich setze mich gerne in meiner Arbeit für die Gleichstellung aller Geschlechter, für Betroffene von sexualisierter Gewalt und für ein gewaltfreies Leben ein. Besonders freut es mich, wenn aus Kooperationen eine längerfristige Zusammenarbeit entsteht und eine Vernetzung mit anderen Organisationen und Institutionen Früchte trägt.

Wissen die Menschen Ihren Einsatz zu schätzen?
Viele Betroffene wissen gar nicht, dass sie mit ihren Erfahrungen Hilfe bekommen können und dass es Frauennotrufe gibt. Doch indem sie über ihre Erfahrungen und deren Auswirkungen sprechen, können sie die Gewalterfahrungen verarbeiten und sind nicht mehr allein damit. Auch Bezugspersonen und Fachkräfte sprechen oft ihren Dank aus, eine Ansprechpartnerin zum Umgang mit übergriffigen Situationen zu haben und offen über ihre Gefühlslage sprechen zu können.

Würden Sie gerne einmal einen Tag mir Ihrer Vorsitzenden tauschen?
Hinter dem Frauennotruf steht der Trägerverein Labyrinth, bei dem ich selbst auch im Vorstand tätig bin. Die anfallenden Aufgaben werden auf die vier Vorstandsfrauen gleichermaßen aufgeteilt. So erübrigt sich die Frage.

Was macht Ihre Aufgaben besonders?
Mein Aufgabengebiet erfordert enorm viel Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, aber auch Kreativität. Es bleibt immer abwechslungsreich.

Welchen Tipp haben Sie für Anfängerinnen?
Wer sich zu feministischen Themen engagieren möchte, darf sich gerne im Frauennotruf melden. Der Trägerverein sucht engagierte Personen, die unsere Arbeit tatkräftig unterstützen. So können Interessierte auch Notruf-Arbeit-Luft schnuppern.

Zur Person

Nina Lindermaier, 30 Jahre, Psychologin und Musiktherapeutin, seit 2021 im Frauennotruf Speyer tätig. Hobbys: Yoga, Wald-Spaziergänge mit Hündin und Musik.

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