Speyer Pilgern bedeutet verrückt sein

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933 Kilometer in 40 Tagen. Durchschnittlich 25 Kilometer täglich. Tagesetappen von acht bis 39 Kilometern. Zehn Kilo Gewicht verloren, dafür jede Menge Einsichten gewonnen. Das sind die Eckdaten seiner Wanderung auf dem Jakobsweg: Von Mitte Juni bis Ende Juli pilgerte Klaus Peill aus Waldsee auf der Nordroute nach Santiago de Compostela. Seit seiner Rückkehr schreibt der 54-Jährige an einem Buch über seine Erfahrungen. Bis Jahresende soll es fertig sein.

Wie so viele hat sich auch Peill mit dem Pilger-Bestseller „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling beschäftigt. Doch mit dem auch davon ausgelösten derzeitigen Hype habe sein Aufbruch nichts zu tun. „Die Idee war schon viele Jahre alt“, erinnert sich Peill. Doch habe er seine geplante Pilgerreise immer wieder aus Termingründen verschoben. In diesem Jahr habe er allerdings dringend eine Standortbestimmung und eine Zukunftsvision gebraucht. „Wie geht’s weiter?“ und „Was ist mir eigentlich wichtig?“ – mit diesen Fragen startete er nach Spanien. Der Jakobsweg erwies sich für Peill rückblickend als so etwas wie ein Loslassritual und eine Visionssuche zugleich, wie er sagt: „Verrückt sein, den Standpunkt zu wechseln, aus einer anderen Position auf das Leben zu schauen“, das bedeutete das Pilgern für ihn. Am 18. Juni ging die Reise los. Peill startete seine Wanderung in der spanischen Stadt Irun an der Atlantikküste. Gleich am ersten Tag war er mit seiner größten Angst konfrontiert: der vor dem Regen. „Was mache ich hier eigentlich?“, habe er sich gefragt. Doch er hielt durch, kam am 23. Juli in Santiago de Compostela an und lief noch weiter bis zum Kap Finisterre, das vielen Pilgern als das eigentliche Ende des Jakobswegs gilt. Eine klare Antwort, wie es für ihn weitergehen solle, habe er auf seiner Wanderung zwar nicht bekommen, räumt er ein. Doch dafür habe er viele tiefe Einsichten gewonnen. „Ich kann mit sehr viel weniger auskommen, als ich hier zur Verfügung habe“, sagt er und zeigt auf seine gut ausgestattete Küche, in der es zum Beispiel einen Kaffee-Vollautomaten gibt. Ein Luxus, auf den man selbstredend verzichten muss, wenn man mit nichts weiter als einem Zwölf-Kilo-Rucksack auf dem Rücken zu Fuß wochenlang an der Meeresküste entlangwandert. Alles, was sich über die Jahre an materiellem Besitz bei ihm angesammelt habe, „ist im Grunde nur eine Belastung“, hat der Inhaber der ganzheitlichen Praxis „Quinta Essentia“ in Waldsee auf seiner Pilgerreise gelernt. Deshalb wolle er sich nun von so viel Hab und Gut trennen wie möglich. „Das Leben funktioniert völlig minimalistisch“, hat Klaus Peill auf dem „Camino del Norte“ festgestellt. „Sehet die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch.“ Auch, wenn er sich selbst nicht als dezidiert christlichen, sondern eher als spirituellen Pilger sieht: Die Wahrheit in diesem Bibelspruch habe er auf dem Jakobsweg Schritt für Schritt erkannt. „Schaue auf deinen Weg und halte immer wieder inne.“ Und: „Gehe deinen Weg, den du dir ausgesucht hast und nicht den, den ein anderer dir empfiehlt“, ist eine weitere Erkenntnis, die mit jedem Schritt tiefer in sein Unterbewusstsein eingesickert sei. Wer auf dem Jakobsweg einem anderen hinterherlaufe, ende nicht selten verloren irgendwo in der Pampa, hat Peill erlebt. Bis auf eine zwei Kilometer lange Eisenbahnbrücke, die er im Zug überquerte, habe er wirklich die ganze Strecke zu Fuß zurückgelegt, versichert er und zeigt seinen mit bunten Stempeln gefüllten Pilger-Ausweis. Die Stempel habe es aber nicht etwa in den Kirchen gegeben. „Die sind leider fast immer geschlossen“, bedauert Peill die mangelnde Möglichkeit der inneren Einkehr in den spanischen Gotteshäusern. Die Beweise seiner Pilgerschaft stammten stattdessen aus den Pilger-Herbergen, in denen er übernachtete. Oder, profaner noch, aus Bars am Weg, in denen er sich einen Kaffee gönnte. Er sei alleine gegangen, habe von sich aus kaum Kontakte gesucht. „Ich bin mit Mantren und Affirmationen gelaufen“, erzählt er und nennt ein Beispiel für die Worte, die jeden seiner Schritte begleiteten: „Ich bin froh und glücklich“, aber auch indische Mantren, das „Vater unser“ und das „Ave Maria“ hätten ihm Kraft gegeben. Die habe er auch gebraucht, denn im Gegensatz zum meistbegangenen „Camino Francés“ sei der „Camino del Norte“ an der spanischen Atlantikküste entlang zwar landschaftlich wesentlich schöner, „aber es geht ständig rauf und runter“. Zehn Kilo Körpergewicht hat Peill auf seiner Pilgerreise verloren. Der „Camino“ habe ihn „auf jeden Fall noch ein Stück bewusster gemacht“, resümiert er. „Der Jakobsweg als ritueller Heilweg – Abschied und Neubeginn“ soll sein Buch heißen, an dem er seit seiner Rückkehr arbeitet und das rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft fertig sein soll. Täglich habe er seine Erfahrungen und Gedanken auf sein Handy gesprochen. Nun gehe es nur noch darum, das Erlebte abzutippen und sprachlich zu überarbeiten. Rund 160 Seiten werde sein Buch wohl am Ende haben, erwartet Peill. Wichtig ist ihm nicht nur, seine eigenen Erfahrungen und Einsichten mitzuteilen. Er möchte auch nützliche und praktische Tipps für Menschen geben, die sich ebenfalls auf den (Jakobs-)Weg zu sich selbst machen wollen.

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