Speyer Makellose Villa

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1908 gab es in der Burgstraße genau vier Adressen: Die Hausnummern 1 bis 3 und die 25. Die 25 war der Bahnhof der Lokalbahn Speyer – Neustadt. Ein Jahr später verlegte der Schuhfabrikant Bernhard Roos seinen Firmensitz dorthin. Seine Räume in der Gutenbergstraße 17 bis 20 waren zu klein geworden. Nach den Plänen von Georg Weber entstanden ein Wohnhaus (Nr. 8), die eigentliche Fabrik als langgestreckter fünfstöckiger Bau (Nr. 7) sowie die Villa (Nr. 6) mit Bedienstetenhaus (Nr. 6a) und Teepavillon.

Georg Weber war zwischen 1908 und 1930 ein gut beschäftigter Architekt in Speyer. Unter den meist privaten Bauherren waren Fabrikanten wie die Filz-Familie Heß, der Ziegeleibesitzer Kirrmeier und der Glockengießer Siedle oder der Arzt Willy Taendler. Die drei Heß-Villen in der St.-Markus-Straße und das Taendlersche Eckhaus in Ludwig- und Zeppelinstraße zeigen noch heute den anspruchsvollen und zugleich dekorativen Stil Webers. Die Villa Roos zeigt dagegen geradezu vornehme Zurückhaltung. In der Mischung aus spätbarocker Haltung und vormoderner Vereinfachung der Dekorformen könnte das Haus auch aus den 1920er Jahren stammen. Dazu trägt auch die Gartenumfriedung mit einem industriell anmutenden Eisenzaun bei. Roos ist 1912 gestorben, die drei Söhne erbten die Fabrik. Eugen wohnte mit seiner Familie in der Villa, die Brüder Karl und August im Wohnhaus. „Im Winter lebte die Familie in Mannheim und nahm dort am gesellschaftlichen Leben teil, im Sommer waren sie hier“, erinnert sich Irma Groß, Jahrgang 1922. Ihr Vater Friedrich war Prokurist bei Roos und lebte ebenfalls im Wohnhaus. Irma spielte mit den Kindern von Eugen und Karl. Sie ging in der Villa ein und aus: „Das war einfach ein wunderschönes Haus – mit Speiseaufzug, das hat mich als Kind besonders beeindruckt, und mit Personal und Koch. Eine Kutsche sollen sie auch gehabt haben.“ Die Familie Roos war jüdisch, der Boykott jüdischer Geschäfte ab 1933 trieb die Firma in die Schulden und so wurde die Fabrik 1936 „für einen Knopf und einen Klicker“ arisiert. Als „Rovo“ war sie in Speyer bis zuletzt ein Begriff, auch wenn Salamander sie 1975 übernahm. Die Fabrik ist nach der Stilllegung des Betriebs 1978 abgerissen worden. Das Bedienstetenhaus wurde erst vor wenigen Jahren eigenwillig erweitert, das zweite Wohnhaus bis zur Unkenntlichkeit umgebaut und aufgestockt. Lediglich die Vorsprünge an den Langseiten erzählen noch von der Geschichte des Hauses: „Da dreht sich mir jedes Mal der Magen um, wenn ich das sehe“, ereifert sich Groß über die heutige Gestalt des Hauses. Lediglich die Villa selbst, inzwischen unter der Hausnummer 11 zu finden, präsentiert sich bis heute nahezu unverändert und makellos. (wlx) Zitiert „Ich liebe dieses Haus, weil es einfach wunderschön ist. Ganz oben waren die Kinderzimmer, die hatten Butzenscheiben. Als ich das letzte Mal im Haus war, gab es die noch!“ Irma Groß, Spielkameradin der Enkel von Bernhard Roos. Die Serie In Speyer gibt es einige prachtvolle Häuser, die erahnen lassen, wie viel Reichtum die Unternehmer in der Hochphase der Industrialisierung besessen haben. Diese Serie bietet Einblicke in das Leben der „Villen-Nutzer“ – damals und heute.

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