Speyer Kneipe statt Kirche

Mannheim

. Kirche? Nicht jeder kann damit etwas anfangen. Gottesdienste? Langweilig, finden besonders viele junge Menschen. Das Ergebnis: Leere Kirchen am Sonntag, Kirchenaustritte oder einfach nur Desinteresse am Glauben. Da kommen einem Pfarrer wie Vincenzo Petracca wie einsame Ritter auf weiter Flur vor, die darum kämpfen, ihre Schäfchen wieder für die Predigt zu begeistern. Doch der Mannheimer Geistliche des Gruppenpfarramts in der Evangelischen Gemeinde im Stadtteil Neckarstadt hat friedvolle Waffen, womit er den ein oder anderen „Abtrünnigen“ wieder in seinen Bann ziehen will. „Ich erreiche viele nicht mehr. Damit bin ich unzufrieden“, sagt Vincenzo Petracca. Resignation ist aber nicht sein Ding. Viel eher Ungewöhnliches: Tiergottesdienste, Tangogottesdienste, Motorradgottesdienste, Kneipengottesdienste – das sind nur einige Beispiele. Das Konzept scheint aufzugehen. Zum Kneipengottesdienst, seinem persönlichen Höhepunkt, kamen viele und lauschten seiner Predigt zum Thema „Prostitution“. „Die Idee stammt vom Kneipenwirt“, erzählt Petracca und strahlt begeistert. Denn der Wirt selbst sei einst aus der Kirche ausgetreten. Für den Geistlichen ist es ein kleines Zeichen. Und es war wohl nicht der letzte Gottesdienst vis-à-vis des Zapfhahns. „Man muss die Menschen dort erreichen, wo sie sind und wo sie leben“, meint der gebürtige Italiener, der mit einem Jahr nach Deutschland kam, in Schwäbisch Hall aufwuchs und seinen schwäbischen Akzent nie wirklich abgelegt hat. Mit „dort“ meint er Kneipen, die Straße, die Wiesen. Tiere seien Teil der Schöpfung und oftmals ein wichtiger Bezugspunkt für Menschen. Deshalb die ökumenischen Tiergottesdienste. „Andere Orte, andere Formen“, so der 49-Jährige. Die positiven Reaktionen bestätigen ihn. Vincenzo Petracca ist Pfarrer mit Leib und vor allem mit Seele. Doch nach dem Abitur beschritt er erst einen anderen Weg. In der Schule hatten es ihm die Zahlen angetan. „Nichts lag näher, als Mathematik zu studieren.“ Mit Volkswirtschaftslehre als Nebenfach, in Heidelberg. „Dann hatte ich am Ende des Mathestudiums ein Berufungserlebnis.“ Wie genau das aussah, verrät Petracca nicht. Es führte ihn jedoch zum Zweitstudium der Theologie, das er sich als Programmierer finanzierte. „Tagsüber habe ich gelernt, nachts programmiert“, erzählt der Pfarrer, der sich bis zum Doktortitel vorgearbeitet hat. Seine ersten Schritte als Geistlicher machte er nach dem Studium als Lehrvikar in Inzlingen, wo er von 1997 bis 1999 tätig war. Es folgte das Ordinariat und von 1999 bis 2000 das Pfarrvikariat in Ladenburg. Ab 2002 wirkte Petracca als Pfarrer der Arche (Wicherngemeinde) in Heidelberg-Kirchheim. Seit knapp fünf Jahren ist er in der Mannheimer Neckarstadt unterwegs. Und bislang ist er begeistert. „Wir haben hier eine Kirche der Armen“, sagt der Mann mit den schwarzen Locken und blickt dabei nicht nur auf das Arbeitslosen-Café direkt in der Diakoniekirche, die sich in der Nähe der Alten Feuerwache befindet. Er betreut das Café, das auf dem Konzept seiner Vorgängerin Anne Ressel basiert. Und Petracca arbeitet eng mit „Amalie“ zusammen, der Anlaufstelle für Prostituierte. Er hat sich für dafür beim Diakonischen Werk stark gemacht. In diesem Rahmen moderiert der Pfarrer regelmäßig den Runden Tisch „Prostitution“. Das Thema verschärfe sich zunehmend mit der Zuwanderung aus Südosteuropa, weiß er. Zwischen all den Sondergottesdiensten bleibt Vincenzo Petracca auch dem Traditionellen treu. Dreimal im Monat erlebt man ihn in herkömmlichen Gottesdiensten. „Mir tut es immer Leid, dass die für Jugendliche nicht so attraktiv sind“, meint er jedoch. Aber was muss, das muss. Seine Augen funkeln allerdings wieder, als ihm einfällt, dass er ja auch DJ-Pfarrer ist. 80er-Hits und Popmusik dröhnen durch die Lautsprecher, wenn Petracca im Melanchton-Gemeindehaus auflegt. Vornehmlich bei Benefizveranstaltungen, beispielsweise für die Prostituierten-Anlaufstelle. Und weitere Pläne habe er auch: einen Kino-Gottesdienst, bei dem Hollywoodstreifen auf religiöse Motive hin untersucht werden. „Der Film „Da Vinci Code“ ist dafür ein Paradebeispiel“, sagt Petracca. „Kirche muss sich ändern. Es kommen immer weniger. Wir brauchen neue Wege hin zu den Menschen.“ Vincenzo Petracca ist zwar nicht der Einzige, der diese neuen Wege beschreitet. Aber er ist offenbar einer von denen, die besonders viele originelle Ideen haben.

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