Speyer Das Ganze und das Eigene

„Hier muss man gar nichts können“: Jutta Brandl im Kreis ihres Spontan-Chors. Auch die Lust am Scheitern gehört dazu.
»Hier muss man gar nichts können«: Jutta Brandl im Kreis ihres Spontan-Chors. Auch die Lust am Scheitern gehört dazu.

„Wer nicht weiß, was das ist, der macht am besten einfach mit“: Circlesingen lädt jeden dazu ein, sich in einem spontanen Chor einzubringen. Unter der Leitung von Jutta Brandl hat sich am Montagabend ein solcher Spontan-Chor in der Speyerer Gedächtniskirche zusammen gefunden. Beim öffentlichen Circlesingen der Städtischen Musikschule musizierten 27 Teilnehmer rund eine Stunde gemeinsam im „Klangraum Kirche“.

Ruhig steht die Gedächtniskirche wie wohl an den meisten Montagabenden in der Dunkelheit. Doch als Licht den Innenraum erhellt und die Leiterin des Spontan-Chors ihre Stimme erhebt, wird das evangelische Gotteshaus zum lebendigen Klangraum. „Singen kann jeder, sag’ ich immer, und wir kriegen das dann schon hin“, begrüßt Brandl die Teilnehmer, die sich in einem Stuhlkreis arrangiert haben. „Ich möchte euch heute zum Singen bringen – und zwar zum Singen ohne Noten.“ Das ist eher ungewöhnlich für eine Kirche, in der sonst Gesangbücher Noten und Texte vorgeben. Beim Circlesingen geht es dagegen vielmehr darum, achtsam zu sein für die eigene Stimme und jene der Mitsänger. Es geht um Improvisation und ums Zuhören. Aber erst einmal wird durchgeatmet, dreimal. Dann wird mit jedem weiteren Ausatmen ein eigener, ein neuer Ton erzeugt, zunächst jeder für sich. Jeder Atemzug trägt einen Ton. Dabei bewegen die Teilnehmer sich als Klangkörper durch den Kirchenraum. Einige erkunden das Querschiff der gotischen Kirche mit ihrer Stimme, die sich widerhallend mit den Stimmen der anderen vermischt. Mit dem wachsenden Bewusstsein für die eigene Stimme und den gemeinsamen Klang entwickelt sich ein harmonischer Vielklang. Brandl führt die gleichzeitig erklingenden, sich überlagernden Töne schließlich zu einem „Gruppenton“ zusammen. Alle intonieren gemeinsam, die Jazzsängerin und Gesangsdozentin entwickelt daraus einen mehrstimmigen Gesang. Sie gibt den Takt vor und teilt die Sänger in Gruppen ein. Nacheinander singt Brandl ihnen eine Tonfolge vor, die sie fortführen, während andere Gruppen den Takt halten oder eigene Gesangselemente einbringen. Es findet sich eine Melodie aus wenigen Silben geformt, die über mehrere Minuten besteht und sich wie ein Klangteppich ausbreitet. Dabei entsteht eine ganz eigene Art der Musik, die vor allem auf kurzen, rhythmisch wiederkehrenden Mustern basiert. Aber auch liturgische Lieder wie das „Da pacem Domine“, eine Komposition für Chor des Esten Arvo Pärt, werden mit solchen Mustern geschmückt. Das Miteinander Singen steht für Brandl im Mittelpunkt: „Wir hören auf das Ganze und bringen das Eigene mit ein.“ Als Dirigentin gibt sie wichtige Impulse für die Klangatmosphäre. Die Teilnehmer sortieren sich nach ihrer Stimmhöhe und stimmen sich erneut ein. Vom Piep-Geräusch bis zum Kanon wird Verschiedenes erprobt und kombiniert. Ohne Noten zu singen führt dazu, dass man gezwungen ist, auf seine Umgebung zu achten, um sich einbringen zu können. Dazu gehört auch die Lust am Scheitern, mal einen Ton nicht zu treffen oder aus dem Takt zu kommen. Die Freiheit, ohne Noten zu singen und dennoch das Gefühl von Ordnung zu haben, führt zu einer ungewohnten Entspannung. „Hier muss man gar nichts können“, erklärt Brandl, „und muss nicht perfekt sein, man darf so sein, wie man will“. Kontakt Informationen gibt es unter der E-Mail-Adresse info@juttabrandl.de.

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