Rhein-Pfalz Kreis Ylvi mit dem Glückshormon

Bei Kindern mit Downsyndrom wie Ylvi ist es wichtig, beim Spielen immer wieder Anreize für die nächste Entwicklungsstufe zu gebe
Bei Kindern mit Downsyndrom wie Ylvi ist es wichtig, beim Spielen immer wieder Anreize für die nächste Entwicklungsstufe zu geben.

«Hohen-Sülzen.» Ylvi lacht, wenn man bellt wie ein Hund. Ylvi weint, wenn sie sieht, dass es Pommes gibt und sie noch warten muss. Ylvi ist 23 Monate alt und hat das Downsyndrom, auch Trisomie 21 genannt. Erst mit 21 Monaten konnte sie krabbeln. Den meisten Kindern gelingt dies in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres. Jetzt beginnt Ylvi, sich aufzurichten. Ihr Wortschatz ist noch begrenzt: Mit „da“ bezeichnet sie alle möglichen Dinge. Sie sagt nicht „Mama“. Versuche, es ihr zu entlocken, beantwortet sie mit „Papa“. Die Mutter nimmt’s gelassen und freut sich über jedes Wort, das Ylvi spricht. „Ich habe mich bewusst für das Kind entschieden, als ich während der Schwangerschaft erfuhr, dass es vermutlich behindert auf die Welt kommt“, sagt sie. Eine Entscheidung, die die vierfache Mutter noch nie bereut hat. Auch wenn es mitunter ein Kraftakt ist, die Förderangebote zu nutzen. Sie fährt ihre Tochter zur Logopädie nach Grünstadt, zur Physiotherapie nach Worms. Die Frühförderung kommt zu ihr nach Hause nach Hohen-Sülzen. Hilfreich sei zudem der Kontakt zu anderen Betroffenen. Bei der Physiotherapie geht es um die motorischen Fähigkeiten. Spielsachen sind in der Praxis verteilt. Ylvi darf auswählen, womit sie spielen möchte. Sie wählt die Kastanien, die sie von einer Kiste in die andere räumt. Die Bewegung eines Kindes sei großteils ein kognitiver Prozess, erklärt Kinderphysiotherapeutin Sabine Liebler. Der Entscheidung, womit ein Kind spiele, folge der Aufbau der Muskelspannung, um diese Bewegung zu machen. Gerade bei Kindern mit Downsyndrom gelte es, diese kurze Phase der Konzentration aufzunehmen. Dabei sei es wichtig, immer wieder Anreize für die nächste Entwicklungsstufe zu geben, also beispielsweise das sitzende Kind zu motivieren aufzustehen. Bei Ylvi liegen körperlich keine Entwicklungsstörungen vor, allerdings Verzögerungen. Die Statistik zeigt, dass die Spannbreite möglicher Beeinträchtigungen bei Downkindern groß ist: Einige können später einen Beruf ausüben – in den USA gibt es bereits eine Professorin mit Downsyndrom –, andere sind ihr Leben lang Pflegefälle. „Das eine Chromosom, das bei Downkindern zu viel ist, ist das Glückshormon“, sagt Gabriele Reichelt, Leiterin der Frühförderung der Lebenshilfe Worms. Sie kommt einmal in der Woche zu Ylvi nach Hause. Dabei geht es ihr darum, Ylvis Entwicklung in Bezug auf Wahrnehmungsvermögen, geistige Aktivität, Interaktionsfähigkeit und motorische Geschicklichkeit zu fördern. Das Motto der Lebenshilfe: „Es ist normal, verschieden zu sein, denn jeder Mensch ist einzigartig.“ Reichelt steht auch den Eltern mit Rat und Tat zur Seite, wenn es um das Stellen von Anträgen oder um praktische Fragen bei der Versorgung des Kindes geht. „Ball“ ruft sie Ylvi zu und deutet mit der Hand darauf. Dann zeigt sie auf einen anderen Ball, der einen Meter entfernt liegt. Ylvi folgt der Hand mit ihrem Blick, wird auf den anderen Ball aufmerksam und holt ihn. Ein großer Erfolg für Ylvi und die Betreuerin. Neben der Entwicklung der Grobmotorik spielen die Förderung der Feinmotorik, die Entwicklung der Handmuskulatur und die Augen-Hand-Koordination eine große Rolle, erklärt Reichelt. Zwar lerne ein Downkind langsamer als andere Kinder, Ziel sei es aber, dass es die gleichen Fertigkeiten erlernt. So kann es mit anderen Kindern kommunizieren, spielen und ein selbstständiger Teil der Gemeinschaft werden. Bei der Logopädie geht es um die Stärkung der Mundmuskulatur, erläutert Therapeutin Helga Brenner. Die verringerte Muskelspannung bei den meisten Menschen mit Downsyndrom könne zu Problemen beim Sprechen führen. Typisch sei die oft zu sehende Zunge. Zur Förderung gehöre eine Stimulation der Gesichtsmuskulatur, eine Zahnfleischmassage sowie Übungen zum Kauen und zur Kräftigung der Zungen- und Wangenmuskulatur. Fast allen Downkindern gelinge es im Laufe der Zeit, sich zu verständigen, auch wenn es länger als bei anderen Kindern dauere. Ylvi spielt mit den Tieren eines kleinen Bauernhofs. „Wie macht die Kuh?“, fragt die Therapeutin. Ein lautes „Muh“ zeigt, dass Ylvis passiver Wortschatz gut ist, denn auch Hund, Tiger, Ente und Katze kann sie nachahmen. Der aktive Wortschatz hinkt etwas hinterher. In Teilbereichen kann sie Sprache aber gezielt einsetzen. So sagt sie „Ba“ anstatt Ball. „Babys beginnen mit sechs bis acht Wochen, sprachliche Laute zu produzieren“, erklärt die Logopädin. „Mit etwa sechs Monaten erkennen sie, dass diese Äußerungen Reaktionen bei ihren Bezugspersonen hervorrufen.“ Meist ahmten Eltern die Laute der Kinder nach, griffen diese auf und führten sie weiter. Kinder mit Downsyndrom reagierten häufig mit Verzögerung auf die Reaktionen der Bezugspersonen. Normalerweise passen sich die Eltern sprachlich intuitiv den Fähigkeiten der Kinder an, reduzieren das Sprechtempo, betonen und wiederholen mehrmals eine Äußerung. „Von diesen Wiederholungen profitieren Downkinder enorm“, sagt Helga Brenner. Die Kinder reagieren, machen mit oder warten wie Ylvi gespannt auf das „Plumps“ nach „Hoppe, hoppe Reiter“. Ylvis Mutter schätzt die Unterstützung. Dennoch bleiben Ungewissheit und Ängste, was Ylvis Zukunft anbelangt. Wird sie einmal gehänselt und dadurch verletzt werden? Wird Ylvi zur Außenseiterin in einer leistungsorientierten Gesellschaft? Bleiben ihr Chancen verwehrt? Ihr Kind betrachtet Ylvis Mutter als großes Geschenk: „Es ist unser Ziel, ein selbstbewusstes und lebensfrohes Mädchen heranwachsen zu sehen.“ Serie In der Reportagen-Serie „Aufgewacht“ sind Mitarbeiter der Lokalredaktion in der Früh mit Menschen unterwegs, die viel zum Gelingen eines Tages in Frankenthal und Umgebung beitragen.

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