Rhein-Pfalz Kreis Geburtsstunde der Räubertochter im Vorlesezelt

Draußen ist es frühsommerlich warm. Die Kinder, die gerade noch auf dem Spielplatz vor der Grundschule herumgerannt sind, sitzen verschwitzt im Hörzelt. Das drei auf drei Meter große Stoffzelt ist im Konferenzraum der Grundschule aufgebaut. Trotz der Wärme, die sich unter den dunklen Stoffbahnen staut, kuscheln sich die 15 Erst-, Zweit- und Drittklässler in die Kissen und Decken, die auf den Turnmatten ausliegen. Denn: Es ist Vorlesezeit.

Ortsbürgermeister Bernd Eberle (FWG) ist in die Schule gekommen, um die Kinder in die Welt von Astrid Lindgrens „Ronja Räubertochter“ zu entführen. Er ist einer der Erwachsenen, die den Kindern im Rahmen des Buchclub-Projekts „Große lesen für Kleine“ eine Vorlesestunde widmen. Annett Matthes, die pädagogische Fachkraft, die die wöchentliche Arbeitsgemeinschaft Buchclub leitet, nutzt das Hörzelt wie ihre Kollegen, um für die Kinder eine besondere Zuhör-Atmosphäre zu schaffen. Zuhören zu können, ist eine Fähigkeit, die nicht alle Kinder im ausreichenden Maße beherrschen. Sprechen, (Sprache-) Lernen und miteinander Umgehen – das funktioniert aber nur, wenn man in der Lage ist, zuzuhören und wichtige Informationen herauszufiltern. Nur so ist auch der kompetente Umgang von Kindern mit Medien erreichbar. Auf diese Fähigkeiten legt das Pädagogische Landesinstitut Rheinland-Pfalz besonderes Augenmerk. Mit der Stiftung Medien Kompetenz Forum Südwest bietet es das das Projekt „Ohrenspitzer“ an. Dafür wurde das Hörzelt angeschafft und kann von Schulen ausgeliehen werden. So soll es nach der Station in Dirmstein an der Schule in Obrigheim bei Worms aufgebaut werden. Mit ausleihen können Schulen einen roten Hörkoffer mit Hörspielen, einem USB-Stick mit Geräuschen und einem Aufnahmegerät zur Erstellung eigener Hörspiele. Die Trickfilm AG der Schule soll laut Schulleiterin Stefanie Hackmann damit die Geräusche aufnehmen, die zu den selbst gedrehten Filmen gehören. Bevor die Kinder im Zelt die Ohren spitzen, dürfen sie dem Bürgermeister Fragen stellen: „Was ist Ihr Lieblingsfilm? Was ist Ihr Lieblingsbuch? Wer ist ihr Lieblingsschriftsteller? Was essen Sie am liebsten?“ Eberle bemüht sich, ausführlich zu antworten. Ein Buch seiner Lieblingsschriftstellerin Astrid Lindgren hat er mitgebracht und fängt jetzt an, daraus vorzulesen. Die elf Mädchen und vier Jungen setzen und legen sich in Position und lauschen aufmerksam, wie Ronja, die Räubertochter, in einer Gewitternacht auf die Welt kommt. Trotz der Ankündigung, dass es eine Toilettenpause geben wird, in der man sich die Beine vertreten kann, fangen die Kinder bald an, auf den Turnmatten hin- und herzurutschen. Die Decken haben sie bereits zum größten Teil weggestrampelt. Es ist wohl doch zu warm. Vor allem in der Ecke, in der die Jungen sitzen, wird es zunehmend unruhig. Ab und zu hört man Geflüster. Zuhören und Stillsitzen ist nicht einfach. Schon gar nicht, wenn man schon einen Vormittag Unterricht hinter sich hat. Als die Schulglocke läutet, springen die Kinder auf und schnappen sich ihre Taschen. Der Bus wartet nicht. Organisatorin Matthes berichtet, dass sie das Zelt auch schon genutzt hat, um den Schülern zum Ausruhen Märchen-Hörspiele vorzuspielen. Einige seien dabei sogar eingeschlafen. Außerdem habe sie einmal Natur-Geräusche abgespielt, und die Kinder sollten erkennen, wer oder was diese Geräusche verursacht. „Ich habe das Gefühl, dass viele Kinder das erste Mal so eine Erfahrung gemacht haben“, sagt sie. Heute sei es nicht mehr selbstverständlich, dass Kinder vorgelesen bekämen. „Im Zelt fällt das Zuhören leichter“, stellt sie fest. „ Da haben die Kinder einen geschützten Raum.“ (khö)

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