Rhein-Pfalz Kreis „Eine furchtbar ernste Zeit“

Im Sommer 1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Dies ist Anlass zum Rückblick. Auch Worms hat sich zu einem Erinnern an jene Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts entschlossen. In vierjähriger Vorbereitungszeit ist ein Museums- und Institutions-übergreifendes Angebot entstanden, das vom 11. April bis 31. Dezember die Geschichte des Krieges, seine Ursache und seine Folgen aus dem Blickwinkel der Wormser Bürger und der Region betrachtet.

In einem Pressegespräch stellten Oberbürgermeister Michael Kissel (SPD), der zuständige Dezernent Hans-Joachim Kosubek (CDU) und der für die gesamten Aktivitäten federführende Leiter des Instituts für Stadtgeschichte, Gerold Bönnen, das Programm vor. OB Kissel erinnerte an 21 Millionen zivile und Kriegsopfer sowie 20 Millionen Verwundete. Das Schicksal der Kriegsversehrten, die danach oft auf sich gestellt waren, sei „beklemmend“ gewesen, erinnerte Kosubek.

Man hoffe, so Kissel, mit den verschiedenen Angeboten möglichst viele Menschen interessieren zu können und ein Bewusstsein dafür zu schaffen – gerade mit Blick auf die aktuellen Ereignisse in der Ukraine –, wie wichtig es sei, zu versuchen, jede Form von politischer Krise ausschließlich mit den Mitteln der Demokratie zu bewältigen: „Krieg ist kein Mittel, Konflikte zu lösen, nur der Dialog kann Frieden bewahren.“

„Wir sind aus voller Sorge ...“ – mit diesen Worten habe, so Kosubek, im Jahr 1914 der amtierende Wormser Oberbürgermeister Heinrich Köhler einen Ausschuss für Kriegsangelegenheiten einberufen. Ein Krieg, der nicht, wie zunächst erwartet, ein Spaziergang, sondern eine vier Jahre andauernde Katastrophe war. Nicht von Kriegslust, sondern mehr von Sorge, vielleicht auch Angst vor dem Ungewissen, zeugen die Fotos, die das Stadtarchiv beisteuert. Ein „Ja“ zum Krieg, zum „Säbel spitzen“ herrschte eher in intellektuellen und großbürgerlichen Kreisen vor.

In den Ausstellungen im Stadtarchiv, im Museum Andreasstift und in der Stadtbibliothek werden die Auswirkungen des Krieges unter verschiedenen Themen betrachtet. Da wären die Kriegsvorbereitungen, die Kriegshetze – „von Neidern umgeben“ sei das Land, hieß es damals –, oder die Mangelversorgung der Bevölkerung. Was wenige wissen: In Worms gab es nahe dem heutigen Wormatia-Stadion das im Südwesten größte Kriegsgefangenenlager mit bis zu 10.000 Gefangenen überwiegend polnischer und russischer Herkunft. Nicht wenige blieben, zum Beispiel der Vater des gebürtigen Wormsers und heute in den USA lebenden Designers Vladimir Kagan. Aber auch dass dem Feind und Gefangenen Respekt entgegengebracht, ihm sogar Religionsfreiheit und -ausübung gestattet wurden – im Gegensatz zum menschenverachtenden Zweiten Weltkrieg – bleibt nicht unerwähnt.

Daneben gibt es eine Studienreise der Europa-Union ins Dreiländereck Belgien-Frankreich-Deutschland, eine Kunstausstellung im Heylshof mit Künstlergrafik zum Ersten Weltkrieg sowie Vorträge der Evangelischen Erwachsenenbildung und der Stadt. Die Ausgabe der Wormser Tageszeitung ist auf der Homepage der Stadt mit den Ausgaben von 1914 bis 1918 digitalisiert. Und im Redneraustausch mit der englischen Partnerstadt St. Albans wird die unterschiedliche Sicht des Ersten Weltkriegs deutlich. Gerald Bönnen: „Es ist verblüffend, wie jede Nation eine andere Wahrnehmung hat. In Frankreich, den Niederlanden oder Großbritannien ist der Erste Weltkrieg viel präsenter, in Deutschland ist er hinter dem Zweiten Weltkrieg fast verschwunden.“

Deutlich werden soll in der Aufarbeitung auch die unterschiedliche Sicht der Schuldfrage und die „Geschichtsverkettung“ von der Kaiserproklamation 1871 im Spiegelsaal von Versailles nach dem deutsch-französischen Krieg zum Versailler Frieden von 1918 bis zum Zweiten Weltkrieg, der Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands, so Kissel.

Schließlich erscheint ein Sammelband „Eine furchtbar ernste Zeit ...“ im Worms-Verlag, in der unter anderen Bibliotheks-Leiter Busso Diekamp die „wilhelminische Diplomatenkarriere des Überbringers der deutschen Kriegserklärung in Frankreich, des Wormsers Wilhelm von Schoen“ beleuchtet. (cei)

x