Rhein-Pfalz Kreis „Ein schöner Tag ist, wenn ich arbeite“

Julian Seppelt hat ein Talent für die Betreuung alter Menschen und seit März einen Arbeitsvertrag in der Tasche. Das ist gar nicht so selbstverständlich, denn der 21-Jährige ist geistig behindert. Statt eine Werkstatt für Behinderte zu besuchen, ist er im Johanniterhaus in Kleinniedesheim beschäftigt. Ein Beispiel für einen inklusiven Arbeitsplatz im Rhein-Pfalz-Kreis.

Eine Heimbewohnerin möchte heute wieder mal nicht essen. Doch das bringt Julian nicht aus der Ruhe „Das ist jeden Morgen so“, sagt er. Am Ende schafft es der junge Mann meist aber doch, dass die Seniorin etwas zu sich nimmt. Julian hat einen guten Draht zu den alten Menschen, die er im Pflegeheim der Johanniter betreut. Heimleiterin Celina Calmes hatte sich zunächst gesorgt, ob die Bewohner ihn als vollwertige Betreuungskraft akzeptieren würden. „Aber meine Befürchtungen waren unbegründet“, berichtet sie. Julian habe eine ganz besondere Art, mit den Bewohnern umzugehen. „Er wird von ihnen und den Mitarbeitern gleichermaßen akzeptiert. Das Wort ,behindert’ ist nie gefallen“, sagt Calmes, die stolz ist, ihn als Mitarbeiter zu haben. Jeden Morgen fährt der junge Mann mit dem Bus von Roxheim nach Kleinniedesheim, um acht Uhr tritt er dort seinen Dienst an. Sechs Stunden lang ist er im Heim beschäftigt, wischt Tische ab, hilft bei Frühstück und Mittagessen, bringt Müll und schmutzige Wäsche weg, erzählt mit den alten Menschen und macht kleine Besorgungen für sie. Auch bei so manchen Klinikterminen ist er dabei. Dort kennt er sich aus, denn Julian wurde nach der Geburt wegen eines Speiseröhrenverschlusses operiert und lag anschließend fast zwei Jahre auf der Intensivstation. „Durch das Kollabieren der Luftröhre und den dabei entstandenen Sauerstoffmangel, hat sich eine geistige Behinderung entwickelt“, erzählt seine Mutter Sybilla Seppelt. Es sei ihr nicht immer leicht gefallen, ihren Sohn loszulassen. „Julian hat einen starken Ehrgeiz und lässt nicht locker, wenn er ein Ziel vor Augen hat.“ Dennoch habe sie ihn immer nur die Schritte gehen lassen, die er habe gehen können – und er konnte erstaunlich viel. Das hat Julian offen und selbstbewusst werden lassen. Ausgestattet mit einem überdurchschnittlichen Orientierungssinn war er schon früh selbstständig zur Schule und zu Praktikumsstellen unterwegs und entwickelte sich zum Fachmann für Fahrpläne und die Bahn. In seiner Freizeit bringt er sich gesellschaftlich ein, besucht die Pfadfinder- und Jugendgruppe, treibt Sport und hilft in der Kinderbetreuung der Offenen Hilfen. „Was er hier im Johanniterhaus macht, hat er ganz alleine geschafft“, versichert die Mutter stolz. Julian hätte sich das Ende 2012, als sein Integrationsassistent Andreas Mikol von den Ludwigshafener Werkstätten für Behinderte bei Calmes wegen eines Praktikumsplatzes für ihn vorgesprochen hat, nicht träumen lassen. Celina Calmes berichtet, wie der Einstieg geklappt hat: „Wir haben mit Julian zuerst kleine Bausteine geübt. Sobald ein Schritt saß, lief er wie ein Uhrwerk. So haben wir nach und nach einen eigenen Tätigkeitsbereich für ihn aufgebaut, in dem er selbstständig agiert.“ Inzwischen sei er ein wichtiges Zwischenstück im Team, eine Art Ausgleich im engen Zeitplan der Pflegekräfte geworden. Julian selbst ist überglücklich über seinen Arbeitsplatz. Er mache hier alles gleich gern, sagt er. Als er einmal gefragt wurde, was ein besonders schöner Tag für ihn sei, hat er geantwortet: „Ein schöner Tag ist für mich, wenn ich arbeiten gehen kann.“ Seinen Lohn erhält Julian über die Ludwigshafener Werkstätten. Diese fungieren bei sogenannten Außenarbeitsplätzen als offizieller Arbeitgeber und vereinbaren mit den Unternehmen einen Lohn für die geleistete Arbeit. Eine Konstellation wie diese ist jedoch ein echter Glücksfall. „Von den 600 Beschäftigten in den Ludwigshafener Werkstätten haben nur etwa 15 einen Außenarbeitsplatz“, sagt Mikol. Um so einen zu schaffen, müssten einige Bedingungen erfüllt sein. Die Fähigkeiten und das Interesse der Betroffenen müssten da sein, der Betrieb müsse bereit sein, sich auf das Experiment einzulassen, und der Arbeitsplatz sollte selbstständig zu erreichen sein. Denkbar seien Außenarbeitsplätze überall im Rhein-Pfalz-Kreis. Als mögliche Arbeitgeber kämen Großküchen, Gartenbaubetriebe und Wäschereien ebenso in Frage wie Industriebetriebe. Diese könnten sich bei Interesse an die Werkstätten wenden. (bvo)

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