Pirmasens „Ja, ja, Kind – aus dir kann man etwas machen“

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Eine Freundin schreibt mir auf Facebook die traurige Nachricht: Else Mußler ist tot. Und obwohl ich weiß, dass das aufgrund ihres Alters irgendwann zu erwarten war, trifft es mich wie ein Schlag. War doch die kleine Frau mit den roten Haaren und der tiefen Stimme ein wichtiger Bestandteil meines Lebens gewesen. Sie war es auch, die mir zuredete, mich in München auf der Schauspielschule zu bewerben. Ich bin 16 Jahre alt, als ich Else Mußler zum ersten Mal treffe. Sie probt mit ihrer Studiobühne (Stip) in Pirmasens in ihren Räumen in der Festhalle (die hat ihr Oberbürgermeister Karl Rheinwalt zur Verfügung gestellt) die „Drei Schwestern“ von Tschechow. Ich weiß zu diesem Zeitpunkt schon, dass ich Schauspielerin werden will, bin wild entschlossen. Aber ich werde an einer Schauspielschule vorsprechen müssen, außer einigen Theaterstücken an der Schule habe ich noch keine Bühnenerfahrung. Eine Mitarbeiterin des Pirmasenser Arbeitsamts nennt mir den Namen Else Mußler. Die ehemalige Schauspielerin und Intendantin der Stip könne mir sicher weiterhelfen, ist sie überzeugt. Aufgeregt wähle ich die Telefonnummer, die ich bis heute auswendig weiß. Kurz darauf meldet sich eine rauchige, akzentuierte Stimme mit ganz leicht badenserischem Anklang: „Mußler.“ Ich bringe mein Anliegen vor, sage, dass ich Schauspielerin werden möchte und gerne mit ihr Rollen einstudieren würde, zum Vorsprechen. Ich höre, dass sie sich freut, dass offenbar noch jemand verrückt genug ist, diesen ungewissen Weg zu wählen. Sie bestellt mich für den nächsten Tag in die Festhalle, in die Räume der Stip. Ich muss an einer langen Schnur ziehen, die aus einem Fenster hängt und an der eine Glocke befestigt ist, es gibt keine Klingel. Man wirft mir einen Schlüssel herunter und dann stehe ich vor ihr. Else Mußler sieht aus, wie man sich eine Schauspielerin vorstellt: Die wilde Haarmähne rangiert irgendwo zwischen Fuchsrot und Flamingorosa, sie trägt etwa fünf verschiedene Grüntöne, die mit dem Funkeln ihrer Augen harmonieren, hohe Pumps, sie hält sich kerzengerade. Obendrein raucht sie mit spitzen Fingern ein Zigarillo nach dem anderen. Eine Diva von Kopf bis Fuß, ich bin sicher, Toulouse-Lautrec hätte sie gerne gemalt. Sie mustert mich eindringlich und sagt. „Ja, ja, Kind – aus dir kann man etwas machen.“ An diesem Abend ist Kostümprobe, es riecht nach Puder, Make-up und nach den erwähnten Zigarillos. Letztere erscheinen mir mondän und verrucht. Ich möchte eines probieren. Sie reicht mir ein angezündetes Zigarillo und ich ziehe daran. Weil ich noch nicht an Rauchen gewöhnt bin, wird mir schwindelig und übel. „Mal ein Glas Wasser, schnell“, kommandiert sie ihre Truppe. Und jemand reicht mir ein Glas Wasser. An den Kommandoton ist hier jeder gewöhnt, aber Else Mußler ist eine liebenswerte Despotin, eine Despotin mit Herz. Dann gehen alle auf die Bühne, am nächsten Tag ist Generalprobe. Wenige Tage später stehe ich mit Else, wie ich sie jetzt nennen darf, in ihrem schönen Wohnzimmer mit Erker und wir proben meine erste Rolle „Lena“ aus „Leonce und Lena“ von Georg Büchner. Es ist die Szene, in der das Mädchen verwirrt ihre Hochzeit fantasiert. Sie ist einverstanden mit meinem entrückten Gesichtsausdruck, dem Klang meiner Stimme. „Du wirst es schaffen, mein Kind“, ermutigt sie mich. Sie ist es auch, die meine Familie überredet, mich die Schauspielausbildung in München machen zu lassen. Als ich die Prüfung bestanden habe, laufe ich in eine gelbe Telefonzelle und wähle ihre Nummer. „Ich bin angenommen, Frau Mußler“, jubele ich ins Telefon. „Das wusste ich, mein Kind“, sagt sie. In ihrem ganzen Leben hat Else Mußler nie ihre Haltung verloren, nicht einmal, als ihr einziger Sohn starb. Daran denke ich jetzt, da sie gegangen ist. Und daran, dass sie immer ein ganz großes Vorbild war. Zur Person — Astrid Dornbrach ist gebürtige Pirmasenserin, die 20 Jahre lang für die RHEINPFALZ tätig war. Sie lebt seit vier Jahren mit Tochter Viviane in Wien.

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