Pirmasens Ein Fleischerhaken ist auch dabei

So ähnlich muss es bei der Post im Lager aussehen. Schachtel über Karton, Umschlag an Päckchen, verschiedene Größen, alles dicht an dicht, meterweise. „Ja, wir platzen aus allen Nähten“, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Eberhard Bayer, als er die Asservatenkammer der Zweibrücker Staatsanwaltschaft öffnet. Doch anders als bei der Post hat hier kein einziges Päckchen einen erfreulichen Inhalt. Alles, was hier liegt, hat mit Straftaten zu tun.

Kein Fenster, grelles Neonlicht, es riecht muffig, sieht chaotisch aus. Ein Laie erkennt hier keinerlei System. Nicht mal die Kisten sind einheitlich. Hier eine Schachtel von Chio Chips, dort der Karton eines Druckers. Braune Umschläge, Plastiktüten, Aktenordner. In einer Ecke steht eine Reihe von Baseballschlägern. Sie gehören zu den wenigen Objekten, die man auf den ersten Blick erkennt. Das meiste ist verpackt, aber sauber beschriftet. Und jedes Stück ist amtlich bewacht. Denn das ist es, was der lateinische Begriff „asservare“ meint. „Wenn ein Verfahren abgeschlossen ist, versuchen wir, die Sachen möglichst schnell wieder rauszugeben oder zu vernichten“, kommt Bayer wieder auf die Enge zu sprechen. Denn böse Dinge passieren ständig, aber die Kammer hat nun mal ihre Grenzen. Die Zweibrücker Staatsanwaltschaft ist für den Landgerichtsbezirk Zweibrücken zuständig, der den Landkreis Südwestpfalz, die Städte Zweibrücken und Pirmasens sowie Teile der Landkreise Kaiserslautern und Kusel umfasst. Was dort im Zusammenhang mit einer Straftat sichergestellt oder eingezogen wird, landet in diesem Raum, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Auch Führerscheine werden hier aufbewahrt. Manches vermutet man in der Asservatenkammer, wenn man an Verbrechen denkt − etwa eine Schreckschusspistole, ein Butterflymesser. Oder eine Stirnlampe und schwarze Handschuhe − klingt nach Einbruch. Aber einiges überrascht auch: Parfümfläschchen etwa („entweder geklaut oder nachgemacht“, sagt Bayer), eine große Kiste mit Kaffeepäckchen, auch ganze Karosserieteile („Da geht’s wohl um einen Unfall“), ein Siegelring. Fleischerhaken, Schraubenschlüssel, Schraubenzieher, Datenträger, Unterhaltungselektronik, Kassetten, Schmuck. Aktuell sind es um die 600 Artikel, über die zwei Asservatenbeamte den Überblick behalten müssen. Blutspuren in Glasröhrchen und Papiertücher befinden sich ebenfalls im Regal, sauber verpackt. „Vermutlich ein Sexualdelikt“, deutet Bayer an, dass es dabei weniger um das Papiertuch an sich geht als um die genetischen Informationen, die als DNA-Spuren zum Täter führen können. In der Asservatenkammer werden nur getrocknete Anhaftungen aufbewahrt. Blutproben kommen ins Labor. „Jeans, Halskette, Turnschuhe“, liest Bayer vor, was auf dem kleinen Zettel auf einer großen Kiste steht. „Das sind wohl Tatkleider mit Anhaftungen“, also Beweismittel. Im Karton ist auch ein Weizenbierglas. Bayer: „Wahrscheinlich ein Kapitalverbrechen“, vermutet er, was sich hinter dieser Asservatennummer verbirgt. Mal angenommen, die Sachen in der Kiste gehören zu einem Mordfall. Wird der Mord aufgeklärt und das Verfahren abgeschlossen, kommen die Sachen aus der Kammer und werden meist vernichtet. Wird die Tat nicht aufgeklärt, lagern die Sachen lange, lange Zeit in der Kammer. Denn Mord verjährt nicht. Bei anderen Straftaten, die nicht aufgeklärt werden, bleiben die Asservaten so lange in der Kammer, bis die Tat verjährt ist, das Verfahren beendet wird. Das können zum Beispiel fünf Jahre bei Diebstahl sein, aber auch mal 20 Jahre bei Raub. Was aussortiert und anschließend vernichtet wird, landet unter behördlicher Aufsicht in der Pirmasenser Müllverbrennungsanlage. Drogen bewahrt die Staatsanwaltschaft nicht auf, die lagern woanders. Waffen gehen häufig ans Landeskriminalamt. Der kleine Raum der Zweibrücker Staatsanwaltschaft ist vollgestopft. Doch es gibt Beweismittel, die ohnehin den Rahmen sprengen. Wenn die Staatsanwaltschaft beispielsweise ein Auto sicherstellt, in dem Drogen transportiert wurden. Das kann ja nie und nimmer in die Kammer. Und dann? „Autos sollten möglichst schnell verwertet werden“, erklärt Bayer. Denn wenn die Staatsanwaltschaft es bei einem Händler abstellt, wird Standgebühr fällig. Alternative: das Auto auf dem Gelände des Amtsgerichts oder der Bereitschaftspolizei parken, doch die haben auch nicht immer Platz. Das Auto kann erst verwertet werden, wenn das zugehörige Verfahren abgeschlossen ist. Der Täter bekommt seinen Wagen − wie andere Tatwerkzeuge − in der Regel nicht zurück. Ob die Polizei das Auto bekommt oder es zu Forschungszwecken verwendet wird, entscheidet die Generalstaatsanwaltschaft. Handys, Computer: „Wenn es neuwertige Dinge sind, hat manchmal der Justizdienst Interesse, beispielsweise um Daten auszuwerten“, berichtet Bayer. „Hier und da stellen wir auch mal Fahrräder sicher. Die werden dann öffentlich versteigert, wenn der Eigentümer nicht mehr festzustellen ist.“ Versteigerungen laufen über den Gerichtsvollzieher, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Das Geld geht in die Staatskasse. „Im Internet bei eBay was versteigern, das machen wir nicht“, versichert Bayer und schmunzelt. Die Staatsanwaltschaft verwahrt auch Beute. Geld auch? „Das wird auf ein Verwahrkonto eingezahlt.“ Ziel sei, dass der Geschädigte seine Sachen zurückbekommt. „Wir sind verpflichtet, Rückgewinnungshilfe zu leisten.“ Die Bank bekommt also ihr Geld zurück, es wartet nicht auf den Bankräuber, wenn der aus der Haft entlassen wird. Was verderblich ist, wird nicht asserviert. Auch nichts Lebendiges. „Vor 30 Jahren wollte mal jemand eine Schafherde sicherstellen“, erinnert sich Bayer, dazu sei es dann aber doch nicht gekommen. „Aber ein Hautstück mit einem Einschussloch, das wurde mal aufgehoben“, schildert der Oberstaatsanwalt eine wenig appetitliche Erinnerung. „Zum Glück lässt sich heute viel fotografisch und filmisch dokumentieren.“

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