Neustadt Silber aus Bologna

Überirdisch schöner Ton und bezwingende Musikalität: Rebeca Ferri mit ihren kongenialen Partnern Matthias Scholz am Kontrabass u
Überirdisch schöner Ton und bezwingende Musikalität: Rebeca Ferri mit ihren kongenialen Partnern Matthias Scholz am Kontrabass und Simon Reichert am Cembalo.

«Neustadt-Mussbach.» Seit vielen Jahren schon konzertiert die aus Rom stammende Cellistin und Blockflötistin Rebeca Ferri regelmäßig als Mitglied des „Ensembles 1800“ in Neustadt – am letzten Sonntag nun durften die hiesigen Musikfreunde die temperamentvolle Italienerin in der Parkvilla des Herrenhofs auch einmal hautnah als Solistin erleben.

Kongenial begleitet wurde sie dabei von zwei ebenfalls auf authentisches Musizieren spezialisierten und bestens eingeführten Akteuren der Alte-Musik-Szene: Bezirkskantor Simon Reichert und dem gleichfalls über Fritz Burkhardts „Ensemble 1800“ bekannten Kontrabassisten Matthias Scholz. Beide boten der Protagonistin ein nicht nur sicheres, sondern auch musikalisch kongeniales Fundament für ihre spannenden Ausflüge in die Musikmetropole Bologna der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die Stadt in der Po-Ebene gilt als Wiege des Cellospiels und ihre 1666 gegründete „Accademia Filarmonica“ als eine musikalisch prägende Institution ihrer Zeit, in der sich die 50 sorgsam ausgewählten Mitglieder zum Diskutieren und Musizieren trafen und mit der sich in den folgenden Generationen Namen wie Mozart, Wagner, Liszt und Brahms verbinden. Vielen Musikfreunden weniger geläufig sind die Vertreter des 17. Jahrhunderts, darunter Domenico Gabrielli, Giovanni Battista Vitali und Giuseppe Maria Jacchini. Sie waren nicht nur als Cellisten in der hiesigen Cappella di San Petronio beschäftigt, sondern hinterließen der Nachwelt auch eine große Sammlung an Kirchensonaten in Triobesetzung. Als größte Überraschung des Abends entpuppten sich die Sonaten von Jacchini, die wegen ihrer Kürze zweifellos einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde verdienen: Wie man es schafft, in kaum fünf Minuten drei Sätze zu absolvieren, dabei musikalisch zwar nicht alles, aber dafür sehr viel Interessantes zu sagen, bleibt ein Rätsel – Langeweile jedenfalls klingt anders. Gleich zum Auftakt gibt Rebeca Ferri ohne Seil und doppelten Boden eine beeindruckende Visitenkarte ihres überirdisch schönen Tons und ihrer bezwingenden Musikalität ab, denn rein solistisch besetzt ist das Ricercar 3 in D-Dur von Domenico Gabrielli. Ein dezentes Lächeln und leichtes Kopfnicken gibt das Signal für ihre Mitstreiter in der anschließenden viersätzigen Sonata in G-Dur. Was Ferri dabei vor allem auszeichnet, ist die unglaubliche Verschmelzung mit ihrem Instrument. Hier bilden Mensch und Instrument eine untrennbare Einheit, und es scheint so, als würde sich ihre eigene Seele in Klang verwandeln. Letzterer zeichnet sich durch eine riesige Nuancenvielfalt aus, reicht von explosiv bis zärtlich, von krachend bis gehaucht. Natürlich fordern die italienischen Cello-Matadore Virtuosität, und vor allem Jacchini erstaunt immer wieder mit abrupt einsetzenden Hochgeschwindigkeitspassgagen, die im raschen Wechsel mit der Entdeckung der Langsamkeit prickelnde Umschwünge bereiten. Ferri artikuliert technisch makellos, und selbst als mal die Notenblätter versehentlich vom Pult segeln, behält sie die Nerven, bringt die Phrase auswendig zu Ende. Nicht nur im musikalischen, sondern auch im technischen Sinne präsentierte sich Bologna im 17. Jahrhundert als ausgesprochen innovativ: „Argento di Bologna (Silber aus Bologna)“ nannte man die damalige Erfindung zur Umspinnung der tiefsten Saite mit feinem, von den „Knöpfemachern“ übernommenem Silber- oder Kupferdraht. So konnten Saiten mit der gleichen Klangfülle mit geringerer Länge hergestellt werden, die den Bau kleiner mensurierter Instrumente und damit ein virtuoseres Spiel in den Tiefen ermöglichten. Kleine Beobachtungen am Rande: Deutlich kleiner als ein Kontrabass ist die Violone von Matthias Scholz. Im Gegensatz zum zwischen den Beinen eingeklemmten Cello von Rebeca Ferri steht das kostbare Instrument mit dem wunderschönen Löwenkopf auf einem winzigen Stachel. In Giovanni Battista Vitalis Chiacona und Kanon für zwei „große Geigen“ darf Matthias Scholz sich neben seiner Hauptfunktion als Accompanist dann gleichfalls als Virtuose profilieren. Zwischen den Triosonaten beeindruckt Simone Reichert als Cembalo-Virtuose der ersten Stunde. Mit ihm verfügt Neustadt über einen Musiker, der den Vergleich mit den großen Interpreten seiner Zunft nicht scheuen braucht. Einen Bogen zu seinem beruflichen Werdegang, darunter seine frühere Station als Organist in Kopenhagen, schlägt Reichert mit der Wiedergabe der Passacaglia für Cembalo-Solo seines Vorgängers Johann Philip Krieger, der seinerzeit von Dänemark nach Italien abwanderte. Es ist ein Triumph der Virtuosität, den Reichert im gemütlichen Wohnzimmer der Parkvilla feiert. Ohne mit der Wimper zu zucken, meistert er die technisch anspruchsvolle Aneinanderreihung rasanter Terzenläufen, Trillerketten und Tonrepetitionen. Wie viele deutsche Komponisten habe sich auch Bach ganz besonders für die italienische Orchestermusik interessiert, erläutert Reichert und serviert dann eine Bearbeitung des Altmeisters von Alessandro Marcellos Oboenkonzert für Cembalo-Solo – ein schönes Beispiel für die Abmilderung der deutschen Ernsthaftigkeit durch die italienischen „Schlager“ des 17. Jahrhunderts. Eine Zugabe erfolgt mit der Stimme des Meisters des damals in Mode geratenen „gemischten Geschmacks“: Sein beschwingtes Dankeschön an das begeisterte Publikum gibt das Trio mit einem Largo und Allegro von Georg Philipp Telemann.

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