Neustadt „Schon bei geringsten Anlässen bestraft“

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Ein neues Buch über die Zeit des Nationalsozialismus in der Pfalz wird am Dienstag im Landesarchiv in Speyer vorgestellt. Daran mitgearbeitet hat auch Stefan Schaupp, Lehrer am Käthe-Kollwitz-Gymnasium.

Herr Schaupp, Sie haben sich in dem Buch „Braune Jahre in der Pfalz“ mit den Zeugen Jehovas beschäftigt. Die Gruppe zähle zu den „vergessenen Opfern“, schreiben Sie. Woran liegt das?

Die Zeugen Jehovas sind rein zahlenmäßig eine kleine Gruppe. Von daher haben sie nach 1945 nicht den Finger gehoben, um auf ihr Schicksal während der Nazi-Diktatur aufmerksam zu machen. Es gab zwar innerhalb der Gemeinschaft Ansätze, die Zeit aufzuarbeiten. Das lief aber außerhalb des offiziellen wissenschaftlichen Betriebs. Vermutlich hängt die zögerliche Aufarbeitung des Themas aber auch damit zusammen, dass die Zeugen Jehovas sich auch in der Bundesrepublik nicht wirklich heimisch gefühlt haben. Der kanadische Historiker Michael H. Kater behauptet, dass der Grund für die Todfeindschaft zwischen Nationalsozialisten und Zeugen Jehovas in der strukturellen Ähnlichkeit der Ideologien liegt. Beide seien totalitär. Sehen Sie das auch so? Ja und nein. Die Zeugen Jehovas sind kompromisslos in der Befolgung ihres Glaubens. Da kann es keine Abweichungen geben. Der große Unterschied zu den Nazis: Die Zeugen Jehovas wollen zwar Menschen missionieren, bedrohen aber keine Andersdenkenden und wenden keine Gewalt an. Was ist das wichtigste Ergebnis Ihrer Forschungen? Eine wichtige Erkenntnis war, dass die Nationalsozialisten bei den Zeugen Jehovas wirklich schon geringste Abweichungen von den Vorschriften mit Sanktionen belegten. Beispielsweise die Verweigerung des Hitler-Grußes. Ich bin auch auf einen Grassamen-Händler gestoßen, der seinen Mitarbeitern in der Mittagspause aus der Bibel vorgelesen hat und dafür bestraft wurde. Ein Beispiel für das alltägliche Leben in der Diktatur. Liegt der Fokus des Buches generell auf diesem Aspekt? Ja, auf jeden Fall. Es gab ja schon vor gut 20 Jahren ein Buch über den Nationalsozialismus in der Pfalz mit dem Titel ,Die Pfalz unterm Hakenkreuz’. Wir haben unser jetziges Buch ausdrücklich nicht als Folgeband angelegt, sondern als ein neues Projekt. Die Alltagserforschung ist eine neuere Tendenz in der Geschichtsforschung, der wir hier Rechnung getragen haben. Welche Rolle spielte denn die Gestapo in Neustadt bei der Verfolgung der Zeugen Jehovas? Eine ziemlich große. Dort wurden minutiös Aktendossiers geführt über alle, die irgendwie auffällig geworden sind. Die Bestände im Landesarchiv stellen da eine sehr wertvolle Quelle dar. Es ist selten, dass Gestapo-Akten in diesem Umfang erhalten sind. Die Gestapo traf beispielsweise nach Ablauf einer Gefängnisstrafe die Entscheidung über die Einweisung ins KZ. Info „Braune Jahre in der Pfalz“ wird morgen, 20 Uhr, im Landesarchiv vorgestellt. Aus der Region |

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