Neustadt Schluss mit lustig

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Neustadt-Hambach. Wir sind aktuell ja mitten drin, in der Hochzeit des organisierten Frohsinns. Sehr passend also, dass Thomas Kölsch vom „Chawwerusch-Theater“ ausgerechnet an Weiberfasnacht mit seinem karnevalskritischen Theater-Solo „Der Präsident“ im „Hambacher Theater in der Kurve“ vorbeischaute. Da reibt sich der Faschingsfeind die Hände. Das Stück des Chawwerusch-Chef-Autors Walter Menzlaw bietet allerdings kein simples Fasnachtsbashing, sondern ist weitaus vielschichtiger, als es die Ausgangslage vermuten lässt.

Ja, er ist wirklich Fasnachter mit Leib und Seele, dieser Gerhard Herzog, der da in der arg beengten Garderobe des Vereinsheims sitzt und sich auf seinen letzten Auftritt vorbereitet. „Simmer fit fer die Bitt?“, ruft er seinem Spiegelbild zu, und beim Zuschauer haben sich da längst gewisse Zweifel eingestellt, ob man diese Frage uneingeschränkt bejahen kann. Denn er wirkt schon ziemlich angeschlagen, der Gerhard, der sich seit 44 Jahren im Verein engagiert, davon die letzten 16 als dessen Präsident. „Man soll immer aufhören, wenn es am schönsten ist“, redet er sich selbst ein. Doch die Wahrheit sieht ein wenig anders aus, wie der Lebensbeichte zu entnehmen ist, die er dem Publikum zwischen Umziehen, Schminken und Textmemorieren offeriert. 45 Minuten sind es da noch bis zu seinem Auftritt. Tatsächlich ist Gerhards Abgang, wie sich nach und nach herauskristallisiert, gar nicht so freiwillig, wie er zunächst glauben machen will. Verleumdungen, Intrigen, Machtkämpfe haben zu seinem Sturz geführt. Auch finanzielle Unregelmäßigkeiten hat es gegeben – keine Kleinigkeit für jemanden, der im Hauptberuf als Steuerberater tätig ist. Das böse Wort von der „Vorteilsnahme“ wabert durch den Raum. Zu guter Letzt hat man ihm deshalb quasi den Stuhl vor die Tür gesetzt und einen jungdynamischen Nachfolger gewählt. Dabei hat er dem Verein doch so vieles geopfert – sogar seine Ehe. Jetzt aber geht es nur noch darum, die letzte Büttenrede mit Anstand über die Bühne zu bringen und dann die Krönung seines Lebenswerks in Empfang zu nehmen: den „Goldenen Löwen mit Brillanten“, die höchste Auszeichnung, die die Pfälzer Fasnacht zu vergeben hat. Doch dazu kommt es nicht: Nach der Pause, im zweiten Teil des Stücks, ist die Büttenrede vorbei und Gerhard auf 180. Sein Auftritt war ein Fiasko, wie man zwischen seinen Flüchen heraushören kann. Bloßgestellt fühlt er sich von seinen Elferratkollegen, die er sogar für seine Texthänger verantwortlich macht. Und um die verdiente Anerkennung in Ordensform betrogen wurde er auch. Meint er. Hilflos wirkt er, wie er so lamentiert. Tatsächlich kann er einem schon ein wenig leid tun, dieser Mann in den 50ern, dem der Karneval so viel bedeutet und der sich im Grunde immer nur eines erhofft hat, seit er mit zehn seine erste Büttenrede hielt und vom damaligen Sitzungspräsidenten als kommender Fasnachtsstar belobigt wurde: ein bisschen Anerkennung. Es ist tatsächlich die Stärke dieses Stücks, dass es seinen Protagonisten nicht als Witzfigur vorführt, sondern als tragikomische Gestalt mit psychologischer Glaubwürdigkeit. „Wie bei einem Schamanen“ beschreibt Gerhard selbst die Verwandlung, die sich bei ihm in der Bütt vollzieht. Im Alltag ein Langeweiler, der nicht einmal Witze erzählen kann, wie er dem Publikum gleich anfangs eindrucksvoll beweist, wird er auf der Bühne zum Teufel. Wie passend, dass ein selbiger, Urian mit Namen, seine Paraderolle im Karneval ist. In der Garderobe freilich sieht man davon nichts. Hier hat man den Mann ganz nackt. Thomas Kölsch zieht in seiner Darstellung dieser gescheiterten Existenz alle Register und gibt ihr bei aller Komik eine Tiefe, die eher zum Nachdenken als zum Schenkelklopfen anregt. Er lässt seinen Helden mit sehr wandelbarer Stimme und Körpersprache aus seinem Leben erzählen, das aufs engste mit dem örtlichen Karnevalsverein verknüpft ist, und rührt einen dabei wirklich, besonders wenn er von den Pleiten, Pannen und Niederlagen berichtet. Ein Extra-Lob verdient er sich für sein munter dahingejandltes „Do wo di do do“. Am Ende des Rückblicks steht dann fast die Emanzipation. Aber nur fast: „Es gibt ein Leben jenseits von Fasching und Verein“, ruft Gerhard ins Publikum und sieht sich schon mit seiner Lebenspartnerin Susi am Südsee- oder Karibik-Strand liegen. Doch dann findet er eine scharfe Pistole in der Schublade, und zwischen Gewaltphantasien und tiefer Depression löst sich ein Schuss. Die Stimme aus dem Off, die ihn dann doch noch zur Ordensverleihung auf die Bühne bittet, hört er nicht mehr. Damit endet dieser Theatermonolog, der ganz nebenbei die Frage nach dem Geheimnis eines gelungenen Leben stellt. Wie sagte schon der von Gerhard immer gern zitierte Konfuzius: Über das Ziel hinauszuschießen ist ebenso schlimm wie gar nicht ans Ziel zu kommen. Das gilt nicht nur für den Karneval.

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