Neustadt Musikalische Finalvorbereitung

Neustadt. Mit einem bombastischen Klangspektakel eröffneten die Musikfreunde Heidelberg am Donnerstag ihr Orchesterkonzert im Festsaal des GDA-Wohnstifts. Unter der Leitung von René Schuh gestaltete der 80-köpfige, hauptsächlich aus jungen Musikerinnen und Musikern bestehende Klangkörper in Gestalt der „Cuban Overture“ von George Gershwin einen auch im weiteren Verlauf ungemein temperamentvollen Abend ganz im Zeichen Südamerikas und der Fußball-WM.

Claves, Bongos, Maracas und Kalebasse? Schon mal gehört? Richtig, dabei handelt es sich um Perkussionsinstrumente. Viel Arbeit also für die fünf Männer am Schlagzeug, die zum Auftakt eine satte Portion Tschingderassabum servierten und damit den Festsaal und die Laune des Publikums ins Schwingen brachten. Schmissig ging René Schuh die Sache an, bevor der mit großer Spannung erwartete Stabwechsel erfolgte. Jetzt war Daumen-Drücken angesagt für die Pult-Premiere der Neustadter Nachwuchsdirigentin Charlotte Bickert. Sie kam, sah, siegte. „Dankeschön, dass ihr euch als Versuchskaninchen zur Verfügung stellt“, lauteten ihre bescheidenen, souverän vorgetragenen Worte an ihre musikalischen Mitstreiter. Im Rahmen ihres Schulmusikstudiums an der Musikhochschule Heidelberg soll sie als Leistungsnachweis im Fach Dirigieren ein Orchesterkonzert organisieren und leiten, erfahren wir so nebenbei, bevor sie den Taktstock hebt und mit Tango-König Astor Piazzolla argentinisches Lebensgefühl in den Festsaal zaubert. Anstelle des Tenors Jan Danckaert übernahm kurzfristig Eunkuk Kim den Solopart in der legendären Schmetter-Arie „Granada“ von Agustín Lara. Er ließ die heiße Sonne Andalusiens auf der Haardt aufgehen, und verwundert rieb man sich die Ohren: Warum im Wohnstift und nicht an der Metropolitan Opera? Sensationell: Erst im 3. Semester befindet sich der kleine Südkoreaner mit der großen Stimme. Sein stählern-kerniger, gleichzeitig mit schönem Belcanto-Schmelz gesegneter Tenor ist die Überraschung des Abends. Da wundert es nicht, dass er bereits an der Seite der „Berliner Philharmoniker“ brillieren durfte. Respekt auch vor Charlotte Bickert, die umsichtig den Taktstock führt und eine hervorragende Klangbalance zwischen Solist und Orchester herstellt. Viva brasil! Nach dem „Conga del Fuego Nuevo“ von Artur Márquez und einem Gläschen Pausen-Sekt setzen die wieder von Schuh geführten Musikfreunde Heidelberg mit dem Orchesterstück „Le bœuf sur le toit“ von Darius Milhaud das südamerikanische Feuerwerk fort. Der Franzose verbrachte viele Jahre als Attaché des zum Botschafter berufenen Paul Claudel in Rio de Janeiro und beschäftigte sich dort intensiv mit der brasilianischen Volksmusik. „Der Ochse auf dem Dach“, so die Übersetzung, war ursprünglich für die Vertonung eines Stummfilms von Charlie Chaplin gedacht und bietet ein kurioses Klangspektakel aus brasilianischen Tanzrhythmen. Keine Angst vor schrägen Tönen. Die gingen nicht, wie vielleicht mancher mutmaßte, auf das Konto des Orchesters, sondern auf Milhaud selbst, der phasenweise bis zu vier Tonarten und ebenso viele Rhythmen gleichzeitig zum Erklingen bringt. Keine leichte Aufgabe für die Ausführenden, die sich wacker durch den Dschungel der Partitur schlugen. Aber die Tücke steckt nicht immer in der Komplexität, sondern manchmal in der vermeintlichen Einfachheit. Als noch diffiziler erwies sich so Ravels epochemachende „Pavane pour une infante“ mit ihren teils unisono geführten Streicherstimmen. Da sind selbst bei Profiorchester Unsauberkeiten vorprogrammiert. Wesentlich dankbarer der „Danzón No. 2“ von Arturo Márquez. Da liefen die Musikfreunde zur absoluten Höchstform auf. Das ist musikalisches Dynamit pur. Nicht umsonst ist seit der 1994 erfolgten Uraufführung des tief emotionalen Werks von einem Siegeszug durch alle Konzertsäle der Welt die Rede. Von Mexiko auf die Haardt: Mit einem rauschenden Finale verabschiedet sich das in allerbester Spiellaune befindliche Orchester vom gleichermaßen berauschten Publikum, das nach einer Zugabe verlangt und diese auch bekommt.

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