Neustadt „Man lernt immer noch was dazu“

Stefan Ulrich hat die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Publikums. Zeichnet er mit gestrecktem Arm eine Linie nach oder weist nach oben, folgen ihm über 30 Augenpaare. Der städtische Denkmalpfleger und Bauhistoriker entführt am Mittwochnachmittag auf eine Zeitreise durch die Architektur Neustadts vom Mittelalter bis ins frühe 19. Jahrhundert – die erste von sechs RHEINPFALZ-Sommertouren bis Anfang September.

„Es ist unglaublich, man lernt immer noch etwas dazu“, sagt ein Ur-Neustadter. „Vielleicht geht man durch fremde Städte mit anderen Augen, weil hier alles irgendwie bekannt ist.“ Wie fast alle der 30 weiteren Tourgäste ist er zum ersten Mal bei einer solchen Führung dabei. Stefan Ulrich aber kennt er schon. Denn: „Wir sanieren gerade ein altes Winzerhaus, aus dem meine Frau stammt.“ Darüber sei der Kontakt zum Denkmalpfleger entstanden, dessen Begeisterung regelrecht ansteckend sei, vom Sachverstand ganz zu schweigen. Mit diesem neuen Hintergrundwissen sei die Sanierung zusätzlich spannend. Dass Denkmalschutz nicht immer einfach und oft ein Kompromiss ist, weiß ein Tour-Teilnehmer aus Lachen-Speyerdorf, genau gesagt aus der Denkmalzone, in der der Fensterstreit tobte. Er hat Verständnis für beide Seiten, der Spaziergang mit Ulrich macht ihm sichtlich Spaß. Darauf setzt er auch bei weiteren RHEINPFALZ-Touren, die Termine stehen schon in seinem Kalender. Ganz klassisch startet die Führung auf dem Marktplatz, unweit des Steinhäuser Hofs, dem ältesten Haus der Stadt. Benannt danach, dass er zu den wenigen Steinbauten gehörte, die sich damals nur die wirklich Reichen leisten konnten. Zuvor zeigt Ulrich eine Kopie des Urkatasters von 1836. Anschaulich ist der rechteckige Grundriss zu sehen, nach dem Neustadt Anfang des 13. Jahrhunderts angelegt wurde, vermutlich zeitgleich mit der Wolfsburg. Dann geht es kreuz und quer durch die Fußgängerzone, exemplarisch nur kann der Bauhistoriker besondere Gebäude erläutern, von denen Neustadt schlichtweg sehr viele hat. Gern würde er noch mehr erzählen; der Verweis auf thematisch enger begrenzte Führungen sind da ein kleiner Trost. Ein älterer Herr macht sich bei jedem Stopp Notizen. Und fragt wie viele seiner Mitstreiter immer wieder nach. „Man kann nie genug wissen“, meint er schmunzelnd. Das Geheimnis hinter dem besonderen Wissensdurst: Im Ruhestand engagiert er sich als Wein- und Kulturführer in St. Martin. Viele Tour-Teilnehmer wohnen in Neustadt, einige kommen aus dem Umland, eine Dame ist Heidelbergerin. Ihr Mann, ein Neustadter, „hat halt sein Herz in Heidelberg verloren“, sagt sie lachend. Sogar gebürtige Westpfälzer sind dabei: Hier muss ein Gruß in Richtung Ginsweiler im Kreis Kusel erlaubt sein ... Die architektonische Zeitreise endet nach zwei Stunden dort, wo sie begonnen hat: auf dem Marktplatz. Der ein oder andere „Rundgänger“ nutzt die Chance und sucht sich noch ein gemütliches Plätzchen zum Abendessen. Indes kommt Denkmalpfleger Stefan Ulrich nicht ungeschoren davon: Er muss sich gefallen lassen, dass seine Zuhörer die Tour noch bewerten. Wie? Die Jury fällt ein klares Urteil: Daumen hoch! (ahb)

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