Neustadt Kein Respekt vor Standesschranken

Ordentlich Schmackes: Sevana Salmasi in der Titelrolle lässt die Männer tanzen.
Ordentlich Schmackes: Sevana Salmasi in der Titelrolle lässt die Männer tanzen.

«Neustadt.» Mitten im burlesken, von herrlichen bitter-süßen Melodien garnierten Spiel mit Theater-Konventionen blitzen Momente auf, in denen wirkliche Menschen, existenziell verstört, gegen gesellschaftliche Konvention aufbegehren und den Zuschauer ergreifen. Das ist einer der Gründe, warum Emmerich Kálmáns „Csárdásfürstin“ über 100 Jahre nach der Uraufführung lebendig und erfolgreich geblieben ist. Und es ist das Verdienst des Ensembles der Johann-Strauß-Operette Wien, diese Mitte dieser Operette musikalisch kompetent und in den Kernszenen darstellerisch intensiv auf der Bühne des Neustadter Saalbaus vergegenwärtigt zu haben.

Der war am Mittwoch nahezu ausverkauft: Die regelmäßigen Januar-Gastspiele der 1948 gegründeten Tournee-Bühne haben eine treue Fangemeinde, welche die traditionell, klassische Ausrichtung der Inszenierungen schätzt: Bühnenbilder und Kostüme sind so, wie im Libretto angegeben; kommentierende, die Handlungsebene überschreitende Regieeinfälle beschränken sich auf Andeutungen. Tadellos dabei das Musikalische: die Ouvertüre hat von Anfang an den wunderbaren vibratoreichen, mit Verzögerungen arbeitenden Schmelz, den diese ungarisch grundierte Musik braucht. Gesungen wird überwiegend ganz vorzüglich, manchmal allerdings recht leise. Die Verstärkung des Gesamtklangs über drei auf der Rampe aufgestellte Mikrofone scheint nicht immer eine Verbesserung zu bieten, sie überträgt bisweilen, wie im frühen Tonfilm, vornehmlich polternde Schritte und leise rumpelnden Raum-Hall, was besonders im ersten Akt zu irritierenden Momenten führte. Nachher war das entweder besser justiert, oder man hatte sich eingehört. So sehr das unter Leitung von Petra Giacalone präzis musizierende Orchester gefiel, so sehr sich die Sänger gut bei Stimme zeigten: Irgendwie lahmte der erste Akt ein wenig, hätte musikalisch wie darstellerisch schärfere Kontur gebraucht. Die Geschichte ist die: Im Budapester Orpheum-Theater verabschiedet sich die Star-Chansonnière Sylva Varescu, weil sie auf Amerika-Tournee geht, indes der junge Fürstensohn Edwin Lippert-Weilersheim – beide sind sich in wahrer Liebe zugetan – sie mit einem notariell verbrieften Eheversprechen zurückhalten will. Die fürstlichen Eltern sind gegen diese Mésalliance mit einer Tingeltangelsängerin und arrangieren die Verlobung ihres Sohnes mit seiner Cousine Stasi. Beide haben sich in Kindertagen einander versprochen. Sylva Varescu wird das hinterbracht, worauf sie, verletzt und enttäuscht, doch die Tournee antritt, die sie eben noch platzen lassen wollte. Das alles ist irgendwie revuehaft-unverbindlich, viele Leute stehen dekorativ, aber unbeschäftigt auf der Bühne herum. Soweit waren 1914 das Libretto von Leo Stein und Bela Jenbach und die Musik gediehen, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Weil unklar war, ob die Theater weiter spielen würden, arbeiteten sie erst ein Jahr später weiter, und möglicherweise geriet angesichts der zeitgeschichtlichen Situation das Folgende schärfer als ursprünglich geplant: Anlässlich der erwähnten Verlobungsfeier treffen Edwin und Sylva wieder aufeinander. Sevana Salmasi und Giorgio Valenta sind in dieser hochdramatischen Szene sängerisch kraftvoll und darstellerisch intensiv, das Orchester begleitet nervig und transparent – ein absoluter Höhepunkt. In der Folge läuft es auf die absurde Frage hinaus, dass Sylva, wenn sie zwischenzeitlich, wenn auch nur für einige Tage und dann wieder geschieden, zur Gräfin emporgeheiratet worden wäre (was man fälschlich glaubt) für Edwin doch eine standesgemäße Partie wäre. Sylva entzieht sich diesen absurden Denkspielen und offenbart, dass sie doch nur die Csárdásfürstin ist. Im dritten Akt ist es dann die Entdeckung, dass auch Edwins Mutter eine zu aristokratische Ehren emporgeheiratete Tingeltangeleuse ist, die die elterliche Zustimmung und damit das Happy End erzwingt. Diese beiden Schlussakte sind vorzügliches Theater; Regisseurin Andrea Schwarz gelingt vorzügliche, präzise Schauspielerführung. Außer dem Star-Paar machen Graf Boni, von Dieter Kschwendt-Michel immer amüsant gespielt und elegant, klangschön, aber recht leise gesungen, und Anita Tauber als frisch und klangrein singende Cousine Stasi viel Vergnügen. Geradezu erlesen ausgefeilte komödiantische Kabinettstückchen servieren im letzten Akt Josef Pechhacker und Manuela Miebach als fürstliches Elternpaar, auch Martin Ganthaler als früherer Verehrer der Fürstin macht Vergnügen. Getanzt wird ebenfalls vorzüglich in einem schlichten, zweckmäßigen Bühnenbild. Der Applaus ist groß, herzlich und verdient.

x