Neustadt Im Zauberreich der klassischen Aufrührer

«Neustadt-Hambach.» Es war ein brillanter Konzertabend, den Fritz Burkhardt und sein „Ensemble 1800“ am Samstag mit einem bei flüchtiger Betrachtung eher unspektakulär anmutenden Programm in der Hambacher Pauluskirche kredenzten. Keinen Moment des aufregenden Exkurses in die spannende Aufbruchsphase zwischen Barock und Hochklassik hätte man missen mögen. Zumal in solch exzellenter Interpretation.

Nicht mal ein Jahrzehnt, von 1764 bis 1773, umfasste Burkhardts fünfteilige Werkschau. Zwei frühe Sinfonien Mozarts – der Knabe hatte sie neunjährig, während er mit Vater und Schwester durch Europa tourte, komponiert –, zwei sinfonische Werke aus der früheren Schaffensphase Joseph Haydns und – Geniestreich sondergleichen – die 2. Streicher-Sinfonie B-Dur aus dem Hamburger Katalog von Carl Philipp Emanuel, dem ältesten der komponierenden Bach- Söhne, verhießen „Sturm und Drang“ pur. Bach, unter den Genannten der Senior, ist gleichwohl der radikalste Neuerer. Was Wunder auch: Hatte ihn die Hamburger Stelle in der Nachfolge Georg Philipp Telemanns doch endlich aus dem 30 Jahre währenden Klammergriff des stockkonservativen „Alten Fritz“ befreit, der ihm an seinem Hof in Potsdam permanent die kreativen Flügel stutzte. In geradezu überbordende Aufmüpfigkeit zerpflückt er die biederen kompositorischen Regeln seiner Epoche, entlässt ein wahres Feuerwerk an harmonischen Querständigkeiten, aufreibenden Stimmungswechseln zwischen schmachtender Empfindsamkeit und rebellischer „Was-kostet-die-Welt“-Pose – und das alles verwoben in einem üppig sprudelnden Quell melodischen Esprits. Das will erzählt, deklamiert, inszeniert werden. Fritz Burkhardts Solisten-Ensemble tat ein Übriges, zauberte regelrecht auf seinem klanglich so wunderbar feinjustierten historischen Instrumentarium. Und hob auch die Werke von Mozart und Haydn dergestalt auf ein gleißendes Podium. Mit neun Streichern, drei Holzbläsern und zwei Hörner war hinsichtlich der Besetzung sozusagen das Gardemaß etabliert; aber natürlich – es brauchte die Extraklasse der Akteure, die Noblesse des Zugriffs und den glasklar formenden, im Detail peniblen, dabei den packenden musikantischen Zugriff befeuernden Gestalter am Pult. Aus der Perspektive der Nachgeborenen, um alles später Entstandene Wissenden, erscheinen Mozarts Kompositionen aus Kindertagen vermutlich wenig nennenswert. Und doch: Wem es gelingt, ihre fast seherischen Anläufe in Richtung Zukunft – will sagen Affekt, Empfindsamkeit, aber auch Ausgelassenheit und Witz – so geistvoll raffiniert, mit solch gestalterischer Akribie, Eleganz und atemberaubender Hochspannung zu entschlüsseln wie Burkhardts prachtvollem Ensemble, wird jedwedem Auditorium kosmische Welten eröffnen. So geschehen. Und den Sinfonien B-Dur (KV 22) und vor allem F-Dur (KV 19A) mit ihrem anrührend schmerzvollen Andante wird man lange nachsinnen. Auch die beiden vorgestellten Haydn-Sinfonien Nr. 49 und Nr. 51 fristen in Konzertsälen ein eher kümmerliches Dasein. Erstere, später mit dem Beinamen „La Passione“ belegt und in der nicht eben gängigen Tonart f-Moll verortet, ist schon allein ihres außergewöhnlich epischen Eingangs-Adagios mit seiner dramatisch auf- und abschwellenden Dynamik wegen eine Sensation. Nr. 51 in B-Dur wiederum geriet sich vor allem im Blick auf die Horn-Partie – und wir reden hier von Naturhörnern ohne Klappen und Ventile - als wahres Bubenstück. Speziell im zweiten, von sanft moderaten Streicher-Aktionen gestützten Adagio-Satz führt Haydn die beiden Hornisten regelrecht vor; lässt sie zwischen schwindelerregendem Diskant und kellertiefen Abgrundtönen bis hinunter zum Kontra-B dialogisieren. Stephan Katte und Georg Köhler – sie seien hier stellvertretend für alle so vorzüglich aufspielenden Solisten genannt – meisterten diese extrem schwierige Aufgabe mit Bravour. Fazit: ein kostbarer Abend mit dem „Ensemble 1800“. Gerne mehr davon!

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