Neustadt „Der Bedarf ist riesig“

Melanie Scherff.
Melanie Scherff.

Das Frauenzentrum Neustadt steckt mitten in einem Generationenwechsel: Im letzten Jahr übernahm Giorgina Kazungu-Haß den Vorsitz, jetzt hat auch die fachliche Leitung des Frauenzentrums mit Melanie Scherff ein neues Gesicht. Die gelernte Heilerziehungspflegerin will Gesellschaft und Politik noch mehr für das Thema sensibilisieren.

Melanie Scherff engagiert sich schon seit langem für das Thema Gewalt gegen Frauen. Praktische Erfahrungen sammelte sie in ehrenamtlichem Engagement und Praktika. Während ihres Studiums an der Fachhochschule Ludwigshafen, das sie 2018 mit dem Master in Soziale Arbeit abschloss, beschäftigte sie sich mit der wissenschaftlichen Seite. Jetzt kann sie sich auch beruflich voll „ihrem“ Thema widmen. „Ich habe das Glück, dass ich auf die exzellente Arbeit meiner Vorgängerin Ingrid Homeier-Morell aufbauen kann. Das Frauenzentrum ist bestens etabliert und mit den Akteuren in Neustadt vernetzt“, erzählt die neue Chefin. „Zudem können wir hier sehr effizient arbeiten, weil Frauenhaus, Beratung und Interventionsstelle gemeinsam zu einem Träger gehören.“ Beste Voraussetzungen also, um den nächsten Schritt zu gehen. „Ich möchte das Thema Gewalt gegen Frauen auf der politischen Ebene voranbringen“, so Scherff, „und zwar nicht nur stadtpolitisch, sondern auch auf Landesebene.“ Es braucht aus ihrer Sicht noch mehr Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit, um den Bedarf an Hilfsstrukturen adäquat zu decken. Entsprechend der aktuellen rechtlichen Forderungen müssten in Rheinland-Pfalz rund 407 Zimmer oder Familienplätze bereit stehen, zur Zeit gebe es allerdings nur 107 Plätze. Erster Punkt auf ihrer Liste ist die Umsetzung der so genannten Istanbulkonvention. Das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt gilt in Deutschland seit Oktober letzten Jahres. „Es schafft endlich eine Rechtsnorm, auf deren Grundlage wir rechtliche Mittel einfordern können“, erklärt die Frauenzentrum-Leiterin. „Jetzt geht es darum, landes- und bundesweit Papiere und Forderungen zu formulieren und dann umzusetzen.“ Dazu wird Scherff die Netzwerke nutzen, in denen das Frauenzentrum Neustadt vertreten ist, zum Beispiel die Frauenhauskonferenz Rheinland-Pfalz oder den Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Aber auch vor Ort in Neustadt gibt es viel zu tun. Bei der Interventionsstelle seien bereits jetzt die Fallzahlen von 2017 erreicht. „Der Bedarf ist riesig, die Gründe für den Anstieg sind vielfältig“, so Scherff, die besonders froh ist über die gute Zusammenarbeit mit der Neustadter Polizei. Beim Frauenhaus ist das drängendste Problem der fehlende Wohnraum. „Manche Frauen leben bis zu einem Jahr bei uns, auch wenn die Gefahrenlage nicht mehr besteht. Sie finden einfach keine Wohnung und blockieren damit den Platz für andere Frauen in Not“, berichtet Scherff. Das sei allerdings auch in anderen Städten und Gemeinden ein Problem und sicherlich nicht kurzfristig zu lösen. Die Öffentlichkeitsarbeit will sie auch in Neustadt verstärken und in Zukunft gemeinsam mit anderen Institutionen an weiterführenden Schulen informieren, um junge Frauen rechtzeitig abzuholen. „Damit sie nicht erst zu uns kommen, wenn es eigentlich schon zu spät ist“. Außerdem stehen die Vorbereitungen für ein großes Ereignis an: im nächsten Jahr stehen mit 25 Jahre Frauenhaus und zehn Jahre Interventionsstelle gleich zwei Jubiläen an. „2019 wird ein großes Jahr für uns“, freut sich Scherff, die in Heidelberg wohnt und jeden Tag zur Arbeit pendelt. Im Frauenzentrum begegnet sie täglich schweren Schicksalen – was gibt ihr Kraft für den Job? „Ich freue mich, wenn eine Frau am nächsten Tag noch bei uns ist, obwohl sie unter großem Druck steht. Wenn ich sehe, dass Frauen stärker werden und eine neue Solidarität entsteht“, meint Scherff. „Und ich freue mich, mit einem Team und Vorstand zu arbeiten, die voll hinter der gemeinsamen Sache stehen.“

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