Über den Kirchturm hinaus Das Ende der Nacht

Michael Janson
Michael Janson

Erfahrungen im All – Erfahrungen auf Erden

25 Jahre ISS – darauf schauen wir dieser Tage zurück. Am 20. November 1998 beförderte eine russische Rakete Bauteile und Material, kurz danach ein amerikanisches Space Shuttle die erste Besatzung ins All. Waren die Jahrzehnte davor von der Konkurrenz der Supermächte geprägt, hatten die Amerikaner den Wettlauf zum Mond gewonnen, musste das Wettrüsten letztlich offenbleiben – dann kam es zum „Mauerfall“ und zur internationalen Raumstation.

Mir fiel eines auf: das Shuttle hatte angedockt, die Arbeiten im Außenbereich waren erledigt, die Raumstation konnte betreten werden. Wer geht jetzt als erster über die Schwelle? Wer betritt als erster die Station? Rein formal hätte es dem amerikanischen Kommandanten zugestanden. Der aber rief seinen russischen Kollegen an seine Seite und beide setzten diesen Schritt gemeinsam. „Aus kleinen Anfängen entstehen große Dinge“ ist im Logbuch zu lesen. Und das stellte sich in den Jahren danach immer wieder ein.

Worte und Gesten gefunden

Im All funktioniert das Miteinander der Menschen! Aber auf Erden kamen wir in der harten Realität an. Die Russen besetzten die Krim, die Besatzung der ISS musste es mit ansehen. Eine Friedensbotschaft von oben fand keine Wirkung. Als sie in die Ukraine eindrangen, waren die Raketenexplosionen im All zu sehen. Wie sollte der deutsche Astronaut seinen russischen Kollegen ansprechen? Sie haben Worte und Gesten gefunden. Und dann der Nahostkonflikt. Friede im All, aber Unfriede auf Erden!

Merkwürdig: in einer fußballfeldgroßen Raumstation funktionieren ein friedliches Zusammenleben und ein gemeinsames Arbeiten an Forschungsaufträgen, hier unten aber nicht. Dabei wäre die Erde doch durchaus mit einer ISS vergleichbar. Zwar ist sie wesentlich größer und komplexer, alles ist verwirrend vielfältig und das Ganze kaum wahrnehmbar. Aber dennoch befinden wir uns auch hier unten in einem System, in dem alles zusammenhängt wie die kleine Welt einer ISS. Die Welt im Kleinen und jene im Großen – ist ein Zusammenrücken aller auf Erden wirklich nicht möglich?

„Wann ist das Ende der Nacht?“, fragt eine jüdische Geschichte, die Martin Buber überliefert. „Es ist dann, wenn du in das Gesicht irgendeines Menschen blicken kannst und deine Schwester oder deinen Bruder siehst.“

Der Autor

Michael Janson, Pfarrer der katholischen Pfarrei Hl. Theresia von Ávila, Neustadt

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