Ludwigshafen „Viel weniger Bürokratie“

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Zwischen der Ludwigshafener und der finnischen Polizei gibt es ein Austauschprogramm. Nachdem ein Kollege aus Järvenpää das Haus des Jugendrechts besucht hat, ist Jörg Haßler (43) in den hohen Norden gereist und erzählt, was die deutsche Polizei von den Finnen lernen kann.

Lesen Sie skandinavische Krimis?

Den ein oder anderen. Die Millennium-Trilogie von Stieg Larsson habe ich regelrecht verschlungen. In den Krimis aus dem hohen Norden geht es meist um brutale Serienmörder – mit der Realität Ihrer finnischen Kollegen dürfte das aber wenig zu tun haben, oder? Einerseits schon. Andererseits merkt man aber, wie skandinavische Autoren dazu kommen, solche Bücher zu schreiben. Wie das? Durch den langen Winter ist es dort monatelang dunkel. Viele ziehen sich in ein Schneckenhaus zurück. Da kommen dunkle Fantasien auf. Es gibt ja viele Klischees über depressive, trinkende Finnen... Depressive Finnen habe ich nicht getroffen, aber Alkohol ist in Finnland ein Riesenproblem. Stärker als bei uns? Auf jeden Fall. Die Gesetze sind auch wesentlich strenger als bei uns. Das öffentliche Konsumieren etwa von Wodka auf einer Parkbank ist verboten. Da sind die Finnen sehr rigide. Es werden viel mehr Betrunkene als bei uns in Gewahrsam genommen. Die Finnen trinken auch exzessiver. Und das, obwohl der Alkohol dort teuerer ist? Durch die Nähe zu Estland können sich das die Leute leisten. Die decken sich auf den Fähren mit harten Sachen ein. Die Autos sind bis oben hin voll geladen. Im Mittelpunkt des Interesses Ihrer Kollegen aus Finnland beim Besuch in Ludwigshafen stand das Thema Drogen und Alkohol – gibt es da länderspezifische Unterschiede? Bei allen Problemen, die wir hier haben, hier bei uns ist die Situation wesentlich besser als in Skandinavien. Die finnischen Jugendlichen treffen sich, um sich mit harten Sachen zu betrinken. Da geht es darum, sich möglichst schnell die Lampen auszuschießen. Bei Cannabis ist die Lage ähnlich. Bei der synthetischen Droge Crystal Meth gibt es durch die Nähe zum Baltikum in Finnland ein massives Problem. Das Zeug ist lebensgefährlich. Was kann die deutsche von der finnischen Polizei lernen? Für mich war total überraschend, wie unbefangen und unkompliziert die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Sozialarbeit läuft. Hier im Ludwigshafener Haus des Jugendrechts gibt’s ja auch eine enge Zusammenarbeit, aber in Finnland gibt es auf jeder Polizeidienststelle einen kommunalen Sozialarbeiter. Die haben eigene Dienstzimmer, arbeiten in 24-Stunden-Schichten und fahren zu jedem Einsatzort mit. Wozu ist das gut? Die Sozialarbeiter kommen vor allen Dingen bei Fällen zum Zug, in denen Kinder eine Rolle spielen oder auch bei häuslicher Gewalt. Aber auch bei Senioren, die nicht mehr mit ihren Lebensumständen zurechtkommen. Der Sozialarbeiter fährt auch gemeinsam mit den Polizisten Streife, spricht Jugendliche auf der Straße an und beteiligt sich an Jugendschutzkontrollen. Bei uns gibt es das nur zu besonderen Einsätzen, nicht im Alltag. Kann das auch ein Vorbild für unsere Polizeiarbeit sein? Ludwigshafen hat vergleichsweise Glück. Hier gibt es beim Jugendamt eine Bereitschaft, die wir immer anrufen können. Bundesweit ist das die Ausnahme. Da ist freitagnachmittags bei kommunalen Behörden Feierabend und die Polizei steht alleine da. Für uns hier wäre auch eine Bereitschaft für den Bereich häusliche Gewalt gut, wenn es etwa um prügelnde Ehemänner geht. Für was haben sich die Finnen bei ihrem Besuch in Ludwigshafen noch interessiert? Den Umgang mit Jugendkriminalität im Haus des Jugendrechts. Was mein finnischer Kollege mitgenommen hat, war, dass wir hier an Tätern orientiert arbeiten und nicht mehr nur isolierte Fälle betrachten. In Finnland gibt es noch noch die Trennung in verschiedene Delikte bei der Bearbeitung. Das sorgt für Informations- und Reibungsverluste. Das war bei uns früher nicht anders. Für die Finnen ist das Neuland. Das Haus des Jugendrechts ist also auch international ein interessantes Modell für die Polizeiarbeit? Auf jeden Fall. So etwas gibt es im Ausland nicht. Wir hatten hier Gäste aus Russland, der Türkei, aus Frankreich, Österreich und eben Finnland. Jetzt im August kommen eine Staatsanwältin und eine Polizistin aus den USA zu uns. Wir arbeiten schon zehn Jahre so, aber es ist immer noch etwas Besonderes – auch in Deutschland. Was sind denn die Unterschiede zwischen der Polizeiarbeit hier und in Finnland? In Deutschland ist die Staatsanwaltschaft Herrin des Ermittlungsverfahrens. In Finnland gibt es das nicht. Da holt sich die Polizei die Genehmigung für Telefonüberwachungen oder Durchsuchungen direkt beim Richter. Erst wenn fertig ermittelt ist, landet die Akte beim Staatsanwalt, der dann Anklage erhebt. Bei Bagatelldelikten bis 500 Euro können Polizisten außerdem als eine Art Schlichter selbst aktiv werden, ohne eine Anzeige aufnehmen zu müssen. Das bedeutet wesentlich weniger Bürokratie, und Verfahren laufen schneller ab. Außerdem schafft das Kapazitäten für die wichtigen Fälle. Was nehmen Sie aus dem Austausch mit? Die Bezahlung der Polizisten in Finnland ist fairer als bei uns und richtet sich flexibel nach der Leistung der Beamten. Bei uns richtet sich das Gehalt nach dem Dienstgrad und ist festgeschrieben – egal, ob ich viel oder wenig arbeite. Ist die technische Ausstattung der finnischen Polizei besser? Sie ist anders als bei uns. Die Stadt Järvenpää hat etwa 40.000 Einwohner, der Zuständigkeitsbereich der Polizeidienststelle ist größer als Rheinland-Pfalz. Da sind für die Polizisten riesige Strecken zu überwinden. Die Kollegen fahren teils morgens los und kommen den ganzen Tag nicht mehr zurück. Deswegen hat die Polizei viele Kleinbusse im Einsatz, das sind praktisch rollende Büros. Die Beamten selbst haben neben der Dienstwaffe auch Elektroschocker. Außerdem gibt es in jedem Wagen großkalibrige Schrotflinten, um Elche von der Autobahn abzuhalten. Ist die Jugendkriminalität in Finnland anders? Es gibt Gemeinsamkeiten, aber auch extreme Unterschiede. Gleich sind Massendelikte wie Körperverletzung, Diebstahl oder Sachbeschädigungen. Aber die ausgeprägten jugendlichen Mehrfach- und Intensivtäter, die es bei uns gibt, dieses Phänomen haben die Finnen seltener. Warum? Das konnte mir von den Kollegen niemand richtig beantworten. Es hat wohl etwas mit der Gesellschaft zu tun. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist wohl nicht so tief wie bei uns. Da gibt es auch weniger Ghetto-Kids, die schwerere Straftaten verüben. Hätten Sie gerne länger in Finnland gearbeitet? Das hätte einen gewissen Charme gehabt. Die Finnen sind gelassener als wir, das hat mir gut gefallen. Was bleibt vom Austausch? Die persönlichen Kontakte. Und ich versuche, mein neues Wissen breit zu streuen.

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