Ludwigshafen „Gewaltlos bedeutet nicht schwach“

Hunderttausend Inder marschieren Hunderte Kilometer, um sich für ihre Rechte einzusetzen. Der Dokumentarfilm „Millions can walk“, der im Juli beim Indischen Filmfestival Stuttgart als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet worden ist, war nun im Künstlerhaus Zeitraumexit zu sehen. Rajagopal P. V., der Gründer und Präsident der sozialen Bewegung Ekta Parishad, die den Marsch organisiert hat, ist in den Mannheimer Jungbusch gekommen, um den Film vorzustellen und über die Problematik zu reden.

Sein Name ist erklärungsbedürftig. Der Inder Rajagopal benutzt nur seinen Vornamen, da sein Nachname auf seine Zugehörigkeit zu einer privilegierten Kaste verweist. P. V. steht für „Putan Veetil“ und heißt „Neues Haus“, eine in Südindien übliche Unterscheidung für die zahlreichen Träger des Namens Rajagopal. Vor etwa 25 Jahren gründete er mit Mitstreitern Ekta Parishad, eine Union gewissermaßen, denn „Ekta“ heißt „Einheit“ und „Parishad“ ist die Bezeichnung für eine Versammlung, eine sich gemeinsam beratende Gruppe. Die Organisation agiert inmitten des Spannungsfelds von Reichtum und Armut, Macht und Ohnmacht. Sie will die Lebensbedingungen der indischen Landbevölkerung verbessern, ohne parteipolitisches Kalkül. Ekta Parishad umfasse etwa 12.000 Aktivisten und erreiche ungefähr 80 Millionen der ärmsten Menschen in Indien, erklärt Rajagopal. Es sei eine Volksbewegung mit dem Prinzip der Gewaltlosigkeit, so der 66-Jährige, der sich auf Mahatma Gandhi beruft. „Wenn wir in der Sonne schmoren, wenn Erde und Himmel zu brennen scheinen, wenn wir schwitzend unter der Sonne marschieren, dann bringen wir ein Opfer“, sagt er im Film. „Wenn wir auf der Straße schlafen, bringen wir ein Opfer. Nur eine Mahlzeit pro Tag ist ein Opfer.“ Sie seien nicht nur Revolutionäre, sie seien Asketen, motiviert er die Aktivisten auf ihrem Marsch. „Und warum bringt ihr diese Opfer? Um die Herzen der Mächtigen zu erweichen!“ Der Protestmarsch, den die Schweizer Christoph Schaub („Giulias Verschwinden“) und Kamal Musale filmten, ist der zweite große Marsch, den Ekta Parishad anstieß. Fast alle Demonstranten sind Adivasi, die Ureinwohner Indiens, oder landlose Bauern. Der im großen Stil betriebene Abbau von Kohle, Eisenerz, Bauxit und anderer Bodenschätze, dazu große Infrastrukturprojekte und die Anlage riesiger Plantagen haben dazu geführt, dass sie vertrieben und den Grundlagen ihres Lebens beraubt wurden. Die Folgen sind Abwanderung in die Slums der Großstädte, Armut und Hunger. Im Oktober 2012 machten sich auf Betreiben von Ekta Parishad 100.000 Betroffene auf den Weg von der Stadt Gwalior im Bundesstaat Madhya Pradesh nach Delhi. Mit ihrem Jan Satyagraha, dem „Marsch der Gerechtigkeit“ in der Tradition des berühmten Salzmarschs von Gandhi, treten sie gewaltlos für ihre Rechte ein und fordern lebenswichtige Ressourcen wie Land, Wald und sauberes Wasser. Sie kommen bis Agra, wo ein Minister ihnen wichtige Zugeständnisse macht. Ein Jahr nach dem Marsch seien tatsächlich 75 Prozent der Forderungen in der Zentralregierung auf Gesetzesebene und in den Kommunen verabschiedet worden, meint Rajagopal in Mannheim. Doch die wichtigsten 25 Prozent stünden noch aus. So plant er bereits den nächsten langen Marsch. 2020 sollen eine Million Inder unterwegs sein, um gewaltfrei gegen Korruption, für Land und Wohnrecht, Gerechtigkeit, Sicherheit und Anerkennung zu kämpfen. „Gewaltlos“, so Rajagopal, „bedeutet nicht schwach“.

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