Ludwigshafen Freunde in der Krise

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Russische Pelmeni, bosnische Cevapcici, ungarischer Ajvar – für jeden Geschmack ist etwas dabei im Mixmarkt gegenüber des Mundenheimer Bahnhofs. Vormittags herrscht wenig Betrieb. Ein Fleischer ordnet die Fleischtheke, während die Kassiererin am anderen Ende des Ladens die Süßigkeitenregale auffüllt. Rund 200 Sorten Pralinen sind im Sortiment. Die Stille zwischen den riesigen, mit kyrillischen Buchstaben beschrifteten Regalen wird nur durch ein lautes Ehepaar gestört. Worüber die beiden lautstark diskutieren, versteht nur jemand, der Russisch spricht. Hier im ehemaligen Edeka kaufen Menschen aus vielen Ländern ein, vor allem aber Angehörige der russischsprachigen Gemeinde. Die Sprache und die heimische Küche verbinden Russen und Ukrainer, die aktuelle Politik entzweit sie. So wie Alexander Leonidov (52) und Eduard Magdullin (38). Die beiden betreiben seit Jahren einen Handy-Stand im Eingangsbereich des „russischen“ Supermarkts in Mundenheim. Die beiden sind nicht nur Geschäftspartner, sondern auch Freunde – eigentlich. „Vor zehn Tagen haben wir über die Krim-Krise gesprochen und sind an dem Tag im Streit auseinandergegangen. Seit dem sprechen wir das Thema gar nicht erst an, Streiten bringt nichts“, sagt Leonidov, der aus dem ukrainischen Odessa stammt. Dass die Emotionen schnell hochzukochen drohen, sobald es um die Politik in der osteuropäischen Heimat geht, demonstrieren die beiden umgehend. Magdullin hat mit halbem Ohr mitgehört und tut sofort seine Meinung kund, nachdem er sein Telefonat beendet hat: „Putin hat richtig gehandelt, er wollte keine Nato-Raketen an der ukrainisch-russischen Grenze haben. Die Nato hat dort nichts zu suchen.“ Und dann schiebt der Usbeke mit russisch-ukrainischen Wurzeln noch eine schöne Metapher hinterher: „Der Kalte Krieg ist warmgemacht worden wie eine Suppe.“ Leonidov kontert: Der Einmarsch Russlands sei illegal und beruhe „auf falschen Tatsachen“. Es ist eine Diskussion, die der 52-Jährige kennt. Der letzte Besuch von russischen Freunden zum Beispiel bei seiner in Worms lebenden Familie hatte es in sich. Die beiden Parteien gerieten in einen heftigen Streit – bis sie irgendwann einfach aufgaben. So und so ähnlich finden Diskussionen zurzeit überall in der Rhein-Neckar-Region statt. Ein Zentrum der Treffen für aus der Ukraine stammende Menschen ist Heidelberg. Dort gibt es eine ukrainische griechisch-katholische Seelsorgestelle, den Freundeskreis Heidelberg-Simferopol, und in der Nähe hat die Deutsch-Ukrainische Gesellschaft Rhein-Neckar ihren Sitz. Zu deren Treffen kommt regelmäßig die 34-jährige Daria, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Die junge Dozentin aus Mannheim hatte bisher nie Probleme mit dem Schlaf. Doch seit der russischen Besatzung der Krim kann sich die Ukrainerin kaum an das erinnern, was das Wort Nachtruhe verdient hätte. „Mein Handy ist mein ständiger Begleiter. Im Bett, im Bad, bei der Arbeit“, erzählt sie. „Die Nachrichten hab’ ich stets im Blick.“ Sie ist besorgt, weil ihre ganze Familie in der Ukraine lebt. „Sie versuchen den Alltag normal weiterzuleben, so gut es nur geht“, sagt Daria. „Mein Vater ist krank, und wenn das Thema überhaupt zur Sprache kommt, dann in seiner Abwesenheit.“ Allein der Gedanke an einen Krieg daheim gleiche einer Horrorvorstellung. „Wenn ich an meine Cousins denke, die auf der Krim stationiert sind, dann überkommen mich Gefühle der Hilflosigkeit.“ Im Gegensatz zu den beiden Handy-Verkäufern im Supermarkt hat sie nicht das Gefühl, zu viel über die Geschehnisse in der Heimat zu sprechen. Im Gegenteil: „Ich war neulich mit einer russischen Freundin einen Kaffee trinken. Sie hat mich zu keinem Zeitpunkt gefragt, wie es mir geht, oder das Thema überhaupt angesprochen. Das hat mich sehr verletzt.“ Eines allerdings eint alle, die hier leben – ob sie nun Russen sind, Ukrainer oder aus einem anderen ehemals sowjetischen Staat nach Deutschland gekommen sind: die Angst vor einem Krieg. Auch Alexander Leonidov und Eduard Magdullin sind sich trotz aller Diskussionen in einer Sache einig: in der Hoffnung, dass die Vernunft siegen wird.

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