Ludwigshafen Ein Happy End muss sein

Um zwei Freunde, die dem Rausch der Großstadt verfallen, geht es in Kevin O’Days neuem Tanzstück „Two Gents“ am Mannheimer Nationaltheater, das frei nach Shakespeare erzählt wird. Zu dem „Musical ohne Text“, das dem Ballettdirektor vorschwebte, hat der Jazz-Trompeter Thomas Siffling eine groovige Musik komponiert. Am Freitag ist Premiere. Es wird O’Days letztes Shakespeare-Stück in Mannheim sein, weil sein Vertrag nach Juli 2016 nicht verlängert wird.

Eigentlich hatte Kevin O’Day für sein nächstes Handlungsballett an ein Stück von Tennessee Williams gedacht: „Der Mann in der Schlangenlederhaut“. Er grinst, während er den Titel nennt, weil er die Reaktion seines Freundes Thomas Siffling erwartete: „Ein total depressives Stück! Am Schluss wird einer schwangeren Frau in den Bauch geschossen.“ Siffling windet sich kopfschüttelnd auf seinem Stuhl im Theatercafé. „Dazu kann ich nichts komponieren. Ich brauche ein Happy End.“ So kommt es, dass Kevin O’Day zum ersten Mal eine Komödie inszeniert. Wieder wählt er ein Shakespeare-Stück, aber nach „Hamlet“, „Romeo und Julia“ und „Othello“ diesmal ein wenig beachtetes. „Zwei Herren aus Verona“ („The Two Gentlemen of Verona“) war sogar von der Royal Shakespeare Company in Stratford 45 Jahre lange nicht aufgeführt worden. Es gilt als Shakespeares frühestes Werk, in dem viele Themen späterer Stücke angelegt sind: Liebesirrungen, Treuebrüche, Verkleidungen und der Aufbruch in eine andere Welt. Von der idyllischen Provinz ziehen die Freunde Valentine und Proteus in die chaotische Metropole. Der smarte Valentine verlässt die Heimat, weil er ambitioniert ist und in die Dienste des Herzogs eintritt. Proteus folgt ihm, weil er sich durch ein Missverständnis von seiner Liebe Julia enttäuscht fühlt. In der Stadt verliebt sich Valentine in die verführerische Silvia, die eigentlich Thurio versprochen ist. Und dann stößt Proteus dazu und begehrt sie ebenfalls. Die Freundschaft wird auf die Probe gestellt. In dem Durcheinander mischen noch zwei Diener und eine Bande von Sträflingen mit, die sich tanzend von ihren Ketten befreit. Kevin O’Day kennt die Geschichte seit seiner Schulzeit in den USA, weil sie vom Heranreifen erzählt und Jugendlichen als Lektüre empfohlen wird. „Aber sie betrifft uns alle“, meint der 52-Jährige. „Wir werden immer älter, jedes Jahr, jeden Moment, bei jedem Atemzug.“ Ständig müsse man sich dabei entscheiden, welchen Weg man weitergeht. „Manchmal ist das so übereilt, dass man keine wirkliche Lösung findet, sondern einfach nur eine Entscheidung trifft.“ So ergeht es dem wankelmütigen Proteus, der nicht merkt, dass ihm seine treue Julia in Männerverkleidung die ganze Zeit zur Seite steht, bis sich zum Schluss alles in Wohlgefallen auflöst. „Es zeigt, wie dumm Männer sein können, ich finde das sehr lustig“, sagt O’Day, der genießt, dass das Arbeiten an einer Komödie „die Tage leicht macht“. Die Herausforderung bestand darin, ein Gespür für das Timing und die richtige Stimmung zu entwickeln, ohne auf Lacher aus zu sein, meint der Choreograf. „Man muss wahrhaftig bleiben und die Geschichte ernst nehmen.“ So ist auch Thomas Siffling an die Komposition herangegangen. Aber es fiel ihm zunächst nichts ein. „Was soll ich mit Verona und Mailand – für klassische Musik bin ich der Falsche?“ Erst als sie die Handlung nach Deutschland verlegten und mit dem Gegensatz zwischen ländlicher Kurpfalz und der Hauptstadt Berlin spielten, ging es los: Da fielen ihm auf der Autobahn im Stau innerhalb von zehn Minuten Melodien für zwei Stücke ein, die er auf sein Smartphone einsang. Volkstümlichere, akustisch angelegte Stücke stehen nun jazzaffinen, dissonanteren Klängen gegenüber bis hin zu einem „fetten Sound“. „Da dürfen dann auch mal fünf Bläser Gas geben“, sagt der 42-Jährige. Er hat für die Großorchestrierung seine Mitspieler so ausgesucht, dass die meisten mehr als ein Instrument beherrschen und als Solisten improvisieren können. Wie bei Dominique Dumais’ „R.A.W.“, für das Siffling ebenfalls die Musik geschrieben hatte, spielt er selbst als Trompeter mit, sitzt diesmal jedoch mit den Kollegen verborgen im Orchestergraben. Nicht die ganze Zeit allerdings: „Er wird der Erste sein, der spricht“, kündigt Kevin O’Day an. Er stellt sich vor, dass der Komponist die Einleitung des Stücks live vortragen soll. Sein Freund schaut skeptisch. „Ich bin kein Schauspieler. Das macht mir schon ein bisschen Sorgen“, sagt der Musiker. „Aber ich werde mich rächen. Nächstes Mal muss Kevin tanzen. Und Trompete spielen.“

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