Ludwigshafen Die goldenen Seiten einer Stadt

Die Unterschrift von Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt ist kaum zu entziffern, Edmund Stoiber hat einen Tintenklecks hinterlassen und Gerhard Schröder geradezu bescheiden klein unterzeichnet. Ein Blick ins Goldene Buch der Stadt ist nicht nur ein Blick auf die Stadt-, sondern auch auf die bundesdeutsche, teils sogar die Weltgeschichte. Im Juli 1994 war der damalige US-amerikanische Präsident Bill Clinton mit Frau Hillary in Ludwigshafen. Beide haben sich, mit Helmut und Hannelore Kohl, auf einer Seite verewigt. „Es ist der ranghöchste Eintrag“, sagt Marcel Jurkat. Der 53-Jährige ist Protokollchef und Hüter des Goldenen Buches. Er weiß, in welchem Tresor es lagert und bringt es am liebsten persönlich zu Terminen – sicher ist sicher. Überhaupt: Einfach so durchs Goldene Buch blättern ist nicht. Wenn es – und das kommt nur äußerst selten vor – mal in der Öffentlichkeit präsentiert wird, dann nur in einer Glasvitrine, berichtet Jurkat. Normalerweise aber lagert es staub- und lichtgeschützt. Neugierig nachlesen dürfen nur die Unterzeichner selbst. Joachim Gauck habe das gemacht. Als der damalige Bundespräsident und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt 2015 zum 50. Bundeswettbewerb „Jugend forscht“ nach Ludwigshafen kamen, habe es ein freies Zeitfenster im Programm gegeben. Da habe Gauck gefragt, ob er mal blättern darf, erinnert sich der Protokollchef. Dem fallen so einige Geschichten zu dem Buch ein, das optisch nicht wirklich golden und als „Gästebuch“ beschriftet ist. Etwa die des früheren Wirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg. Dessen im Juni 2009 geplante Reise nach Ludwigshafen kam nicht zustande. Sein Flugzeug konnte nicht starten. Doch im Goldenen Buch war schon eine Seite für ihn vorbereitet. „Das hat Guttenberg mitbekommen und direkt zugesagt, dass er sich später einträgt“, so Jurkat. Doch das vorbereitete, von einem Kalligraphen individuell gestaltete Blatt war überflüssig geworden. Es wurde „fein säuberlich mit dem Skalpell rausgetrennt“, wie sich Jurkat erinnert – wer genau hinschaut, sieht es. Es ist übrigens das vierte Goldene Buch der Stadt und beginnt im Mai 1985 als der ehemalige SPD-Bürgermeister Günther Janson die Ehrenbürgerurkunde erhielt. Etwa fünf bis sechs Einträge kommen pro Jahr hinzu. Der nächste wird der Ernst-Bloch-Preisträger Achille Mbembe sein, verrät Jurkat. Wer sich im Buch verewigen darf, kann die Stadt entscheiden. „Gäste und Honoratioren höheren Ranges“, sagt der 53-Jährige ganz allgemein. Doch entschieden werde von Fall zu Fall und je nach Anlass des Besuchs. Es gibt auch Wiederholungstäter. Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Beispiel war mehrmals hier – zuletzt beim Digitalgipfel der Bundesregierung. 2017 fand er im Pfalzbau statt. Auf derselben Seite haben unter anderem auch Brigitte Zypries, Malu Dreyer und Winfried Kretschmann unterschrieben. Da habe man vorher noch nicht genau gewusst, wen man erwischt, sagt Jurkat zu diesem Mix. Wer im Goldenen Buch steht, hat etwas erreicht. Der ehemalige Carl-Bosch-Gymnasiast Stefan Hell zum Beispiel. Er ist inzwischen Chemie-Nobelpreisträger und hat Ende 2014 unterschrieben. Manch ein Unterzeichner ist bereits verstorben. Das Buch ist auch Erinnerungsbuch, lässt etwa an den Alt-Bundespräsidenten Roman Herzog denken oder an Guido Westerwelle. Beide waren Gäste des 80. Geburtstags von Helmut Kohl. Andere Eingetragene waren nicht lange im Amt. „Christian Wulff als Bundespräsident“, sagt Marcel Jurkat und ergänzt ein wenig stolz: „Aber wir haben ihn.“ Während in vielen Städten das Goldene Buch das Rathaus nicht verlassen darf, wird das Ludwigshafener Exemplar in eine schützende Hülle gebettet und zum Ort des Geschehens getragen. Malu Dreyer etwa leistete ihre erste Unterschrift als Ministerpräsidentin im Hack-Museumsgarten. So mancher Angehörige einer Delegation, der eigentlich nichts im Buch zu suchen hat, hat trotzdem unterschrieben – die Namen der Delinquenten sollen an dieser Stelle unerwähnt bleiben. Ebenso die Herkunft jener Delegation, nach deren Eintrag der goldene Füller für immer verschwand. Er habe ja noch mehrmals bei den Anwesenden nachgefragt, versichert Jurkat. Doch das gute Stück war weg. Seitdem wird mit einem elegant aussehenden aber doch recht einfachen Stift unterzeichnet. 16 Seiten sind noch frei. Und dann? „Wird es ein nächstes Buch geben“, sagt Jurkat.

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