Ludwigshafen Die Entdeckung neuer Klangräume

Die Überwindung starrer Grenzen zwischen Hoch- und Popkultur hat sich das Mannheimer Jetztmusik-Festival zum Ziel gesetzt. Nach den beiden überwältigenden Konzerten der Pianisten Hauschka und Nils Frahm lässt sich festhalten, dass dieser Anspruch bereits nach der Hälfte des Programmkalenders auf beeindruckende Weise erfüllt worden ist.

Bereits zur Eröffnung des Festivals hatte ein hochkarätig besetztes Symposium über die Beliebigkeit solcher Unterscheidung zwischen E- und U-Musik debattiert und trotzdem etwas ratlos und resigniert feststellen müssen, dass die kulturelle Realität immer noch von diesen Begriffen bestimmt wird. Dass die Gründe dafür weniger im musikalischen Material als in der institutionalisierten Aufführungspraxis zu finden sind, bewiesen die beiden ausverkauften Konzerte von Hauschka und Nils Frahm. Auch das junge, Pop-affine Publikum ist nämlich durchaus an einem dem reinen Zuhören gewidmeten Instrumentalkonzert interessiert, wenn der Rahmen der Veranstaltung nicht von starren Konventionen dominiert wird. Der Kölner Pianist Hauschka ist ein musikalisches Chamäleon, einer der sowohl Hip-Hop und Elektronika- Platten als auch reine Alben für Soloklavier veröffentlicht hat. Mit seinem aktuellen Programm reiht er sich in die beinahe 90-jährige Tradition des präparierten Klaviers ein, einer Technik, die, wenn auch oft John Cage zugeschrieben, bereits von dessen Lehrer John Cowell entwickelt wurde und heute vor allem in der Neuen Musik ihren Platz gefunden hat. Durch das Modifizieren des Klangraums und der Saiten mit Objekten wie kleinen Holzstäben, Kronkorken, einem Schellenkranz oder Gaffaband werden dem Flügel unerwartete Klangfarben entlockt, die bisweilen wie eine komplette Percussion-Sektion erscheinen. Hauschka bereichert diese schon bekannten Verfremdungsmöglichkeiten mit elektronischen Effekten wie Echo und Delay und lässt so komplette klangliche Universen entstehen. Bei seinem Konzert im Mannheimer SWR-Aufnahmestudio waren vor allem Werke aus seiner aktuellen Platte „Abandoned Cities“ zu hören, ein Konzeptalbum, das sich mit der Thematik verlassener Städte und ihrer Retransformation und Wiedereroberung durch die Natur beschäftigt. Analog zu seiner intensiven vorangehenden Recherche, forscht Hauschka auch in den einzelnen Stücken minimalistischen musikalischen Leitthemen nach, um sie dann behutsam und schleichend zu transformieren und erzeugt assoziative Klangwelten und Vorstellungsräume, die sich jeglicher Genrezuschreibung entziehen. Wenn Hauschka also so etwas wie der gründliche Forscher und Analytiker, Vertreter einer imaginären musikalischen Aufklärung ist, dann muss Nils Frahm direkt dem Sturm-und-Drang entsprungen sein. Was der junge Künstler in der Christuskirche veranstaltete, war an Intensität kaum noch zu überbieten. Da war einmal der Ort, dieser wundervoll hallende, sakrale Kuppelbau mit seiner prominenten Kreuzigungsszene oberhalb des Altars, darunter dann Nils Frahm, der sich mit in schwelgerischem Leiden verzerrten Gesicht und krampfhaft zuckend über Flügel und Synthesizer beugte und seine polyphonen Elegien gen Himmel schickte. Man übertreibt nicht, wenn man hier von erhebenden Szenen spricht. Wie ein Besessener saß der Musiker mit ausgebreiteten Armen zwischen all seinen Klangerzeugern, sprang gehetzt vom Juno-Synthesizer wieder zum Flügel, drehte den Filter auf und ließ das Echo endlos wabern. Es sind dabei vor allem zwei Dinge, die Frahm als Künstler besonders auszeichnen. Zum einen ist er ein begnadeter Dramaturg und Arrangeur. Wo andere gerne noch eine Klangschicht draufsetzen und sich am Ende in bloßer Synthie-Schwurbelei verlieren, weiß er ganz genau wann es Zeit ist, wieder zum Leitmotiv zurückzukehren oder ein harmonisches Bassfundament zu legen, das seinen Komposition trotz aller Ausschweifung eine beinahe poppige Zugänglichkeit verleiht. Zum anderen gelingt es Frahm der Überwältigungsästhetik jeden Anflug von Pomp, Pathos oder Kitsch zu nehmen und bloßes Gefühl zurückzulassen. Ein Abend voller Gänsehautmomente.

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