Ludwigshafen Atomkrieg als Planspiel

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Der Kalte Krieg ist vorüber, die Furcht vor einem Atomschlag nicht. David Greigs „The Letter of Last Resort“ diskutiert die Frage, wie sinnvoll ein atomarer Gegenschlag noch ist, wenn das eigene Land bereits zerstört ist. Das Ensemble des Mannheimer Theaterhauses TiG7 inszenierte das Stück als Beitrag zum Festival „Here & Now“.

Vergeltung oder nicht? Großbritannien unterhält vier Atom-U-Boote, die irgendwo in den Weltmeeren kreuzen und imstande sind, jederzeit auf jeden Punkt der Erde eine Atombombe abzufeuern. Ein neuer Premierminister muss entscheiden, was der Kommandant der U-Boote anzuordnen hat, falls Großbritannien durch eine andere Atommacht ausgelöscht sein sollte. Die handschriftliche Anweisung wird durch mehrere Safes gesichert auf einem der U-Boote hinterlegt. Der schottische Dramatiker David Greig spielt die absurde Situation in seinem Stück „The Letter of Last Resort“ (etwa „Der Brief im letzten Rückzugsraum“) durch. Er verwickelt eine Premierministerin, die soeben ihr Amt angetreten hat, in einen Dialog mit ihrem Regierungsberater und lässt die beiden Argumente für und wider einen atomaren Gegenschlag austauschen. Die Premierministerin vertritt eine eher unkriegerische Position, ihr Berater gibt sich als Befürworter von Nuklearwaffen zu erkennen, weil sie die Grundlage der Abschreckung bilden und letztlich den Frieden garantieren. Immer, wenn die Premierministerin in dem schwierigen Abwägungsprozess zu einer Entscheidung gekommen zu sein glaubt, bringt ihr Berater sie mit einem Gegenargument wieder ins Grübeln. Nur einmal angenommen, China habe die Bombe auf England geworfen, zehn bis 20 Millionen Chinesen würden bei einem britischen Gegenschlag sterben, während die chinesische Regierung sich in einen Bunker in der Mongolei geflüchtet hätte. Die Premierministerin muss eine verantwortliche Entscheidung für die Zukunft fällen, über ihren eigenen Tod und den ihrer Landsleute hinaus. „Es wäre ein Kriegsverbrechen, den Gegenschlag zu befehlen“, gibt der Berater zu bedenken. Er rät, die britische U-Boot-Flotte anzuweisen, sich in die australische Marine einzuordnen. Was aber, wenn die Regierungschefin auf Vergeltung verzichtet? Nicht von der Zukunft, sondern von der Gegenwart aus gedacht, wie glaubwürdig ist bei einer solchen Anweisung noch die Abschreckung durch einen Gegenschlag? Macht sich Großbritannien nicht verwundbar und erpressbar? Die Premierministerin und ihr Berater kommen sich selbst wie in einem absurden Drama vor. „Je rationaler wir handeln, desto irrationaler erscheint es“, stellen sie fest. Das TiG7 hat David Greig vor zwei Jahren schon sein Autorenporträt gewidmet. Jetzt hat die Regisseurin Julia Zessin sein 2012 entstandenes Stück „The Letter of Last Resort“ als Beitrag des ausrichtenden Theaters selbst für sein englischsprachiges Festival „Here & Now“ ausgewählt. Mike Shiels als Berater ist native speaker und spricht ein zu seinem Maßanzug passendes gepflegtes Oxford-Englisch, die Deutsche Angela Pfenninger als Premierministerin spricht akzentfrei Englisch. Die Fenster sind mit schwarzen Vorhängen verhängt, die beiden Darsteller sind schwarz gekleidet, als wären sie Teil einer Trauergesellschaft, wenn sie das Horrorszenario durchspielen. Was die Premierministerin in ihrer dritten und endgültigen Brieffassung am Ende dem Papier anvertraut, bleibt übrigens geheim.

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