Ludwigshafen Übern Kirchturm hinaus: Ludwigshafen, nicht Aleppo

Juhu, die Schule fängt an! – „Aufgeweckt wart ihr bis heute, und einwecken wird man euch ab morgen!“ So sah Erich Kästner den Schulanfang. Er sah die Schule als Einrichtung, die die kleinen Früchte „vom Baum des Lebens in die Konservenfabrik der Zivilisation“ weiterverarbeitet. Kästner, geboren 1899, erlebte eine Schule, die einem das Kindsein austrieb. Wenn in unserer Kita die Schukis entlassen werden, bekommen sie eine Urkunde überreicht, und es wird ein schönes Erlebnis aus ihrer persönlichen Kita-Zeit erzählt. Ich denke daran, dass sie jetzt die Welt der stärkenorientierten Pädagogik verlassen und die leistungsbezogene Beurteilung spätestens ab dem dritten Schuljahr ihr Leben bestimmen wird. Trotzdem: „Juhu, die Schule fängt an!“ Denn unsere Kinder werden in Ludwigshafen groß und nicht in Aleppo, wo die Schulen zerschossen oder von Kämpfern besetzt sind. „Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist kurz.“ Das schrieb ein anderer Großer, Bert Brecht. Es ist manchmal nicht schlecht, sich mit der Vergangenheit auszukennen. Wie war es 14/18 in Ludwigshafen, etwa im Hemshof? Da war nichts mit „Juhu, die Schule fängt an!“ Gleich nach den Sommerferien wurde der Krieg erklärt, die Gräfenauschule zur Kaserne. Eine Woche später waren Gräfenau-, Goethe- und Pestalozzischule Lazarette. Zuerst für die Verwundeten, die von der Front kamen, später für die Ruhrkranken. Was machten nur all die Schulkinder? Meine Mutter, Jahrgang 1940, erzählte mir, dass während der gerade mal sieben Jahre, die sie zur Schule gehen konnte, ständig die Klassen überbesetzt waren durch die Aufnahme der Kinder der Vertriebenenfamilien. Ständig war man neu zusammengewürfelt. Mein Vater wäre gern auf die Oberschule gegangen. Aber nur für den größeren Bruder konnte meine als Kriegerwitwe alleinerziehende Oma das Schulgeld aufbringen. Erinnern wir uns also ruhig. Und dann freuen wir uns, dass wir Kinder, die mit ihren Familien zu uns geflohen sind, in der Schule unterrichten können. Für sie beginnt am Montag eine vielleicht nie erlebte Normalität – man kann auch Frieden dazu sagen. (Archivfoto: Kunz) Der Autor Stefan Bauer, 51, ist Pfarrer in der Apostelkirche im Ludwigshafener Hemshof.

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