Landau Abends unter der Linde fröhlich geträllert

Die 1950 gepflanzte Linde im südlichen Teil der Kellereigasse wurde dieser Tage gefällt. Godramsteins Ortsmitte ist im Umbruch, die Straße soll neu angelegt werden. Einige Godramsteiner Zeitzeugen erinnerten sich daran, dass bei der Pflanzung vor 64 Jahren eine „Stahlkassette mit Inhalt“ mit der Linde eingegraben wurde. Als die Baumfäller erste Hand anlegten, meldeten sich die heute 78-jährige Anneliese Schwall aus der Bornergasse und Heinz Koch vom Haingeraideweg sofort bei Wolfgang Kern, bislang Godramsteins Ortsvorsteher. Und tatsächlich: Die Bauarbeiter fanden, „vorgewarnt“, die Kassette aus dickem Stahl, gefüllt mit zwei Weinflaschen. Die eine davon war versehen mit einem 1949er Riesling vom damaligen Weingutsbesitzer und ersten Bürgermeister Artur Erlenwein, die zweite Flasche enthielt vergilbte Dokumente und eine Poesie von Fritz Rocker sen. Anneliese Schwall erinnerte sich, dass sie ihr selbst verfasstes Gedicht – auf einem Leiterwagen stehend – den Godramsteinern laut zur Kenntnis brachte. Heinz Koch berichtete von Einzelheiten der Pflanzaktion: „Da gab es keine Bagger, keinerlei Maschinen, wir waren mit Spaten, Schaufel und Bickel bewaffnet, jeder hatte Hand angelegt, den alten Baum abzutragen und die neue Linde zu setzen, die aber dieser Tage leider nach 64 Jahren den Straßenarbeiten zum Opfer fallen musste.“ Die heute 90-jährige Wilhelma Weber aus der Krämergasse, die nach ihren Schilderungen damals in der Landwirtschaft der Familie Kost am heutigen Dorfplatz arbeitete, erzählte, „dass wir immer abends fröhlich unter der alten Linde zusammen saßen und Lieder sangen, wobei unser Schlager damals den Titel trug: ,Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde’.“ Dieses Lied sei bis heute ihr „Hit“ geblieben. Ebenfalls speziell aus Anlass der Pflanzung verfasste Fritz Rocker Senior das Gedicht „Die Dorflinde“, das er der Stahlkassette „Zum Sonntag Lätare 1950“ anvertraute. Das Protokoll der Pflanzungsaktion 1950 mit den Namen der 16 damaligen Gemeinderatsmitglieder war in der Kassette ebenso enthalten wie der Hergang des Lätare-Umzugs am 19. März 1950. Ortsvorsteher Kern wünscht, dass die Dokumente, „dieses kulturellen dörflichen Kleinods“ erhalten bleiben und alle Unterlagen mit Kassette dem Landauer Stadtarchiv zur Verfügung gestellt werden. Kern versicherte, dass die Linde im nördlichen Teil der Kellereigasse/Bornergasse auf jeden Fall erhalten bleibt und und der neuen Straßenführung nicht auch noch zum Opfer fällt. Er beruft sich auf den einstimmigen Beschluss des Godramsteiner Ortsbeirats vom 23. März 2011, wonach dem Erhalt dieser alten Linde Vorrang vor allem einzuräumen ist, „sofern keine eklatanten Schäden am Baum festgestellt werden“. Was mit dem köstlichen Tröpfchen aus der Stahlkassette passieren soll, wusste Wolfgang Kern – augenzwinkernd – sofort: Da er in den nächsten Tagen nach 33-jähriger Dienstzeit als Ortsvorsteher seinen Abschied feiern wird, werde „dieser uralte edle Godramsteiner Rebensaft“ mit dem neuen Ortsbeirat – tröpfchenweise – genossen. (ohu)

x