Kreis Südwestpfalz Schätze unterm Schienenstrang

Was haben eine zierliche römische Glasvase und Grabschmuck der Steinzeitmenschen mit Hochgeschwindigkeitszügen zu tun, die mit Tempo 320 durch die Landschaft brausen? Die Antwort: Hätte man in Ostfrankreich nicht den Bau einer gut 400 Kilometer langen Schnellbahntrasse in Angriff genommen, wären die historischen Funde entlang der Schienenstrecke wohl niemals entdeckt worden. Ausgewählte Schätze aus diesen Grabungen gibt es jetzt im Europäischen Kulturpark Bliesbruck-Reinheim zu sehen.

Die Reinheimer Ausgrabungsstätte auf der deutsch-französischen Grenze ist der erste Schauplatz einer Wanderausstellung, die im November ins lothringische Saarburg und später nach Straßburg, Metz und Saverne weiterzieht. Auf der französischen Seite des Archäologie-Parks gibt es seit einigen Tagen Schätze zu bewundern, die entlang der TGV-Trasse zwischen Baudrecourt bei Metz und Straßburg entdeckt wurden. Zwischen 2008 und 2010 haben Archäologen auf 106 Kilometern Strecke die menschlichen Hinterlassenschaften aus fünf Jahrtausenden aus dem Erdreich geborgen – rechtzeitig, ehe die Bulldozer der Gleisbauer anrollten. Zu sehen gibt es unter anderem Werkzeuge und Schmuck, die die einstigen Bewohner des heutigen Lothringen ihren Toten in die Gräber legten – und zwar während der Eisenzeit, in den Tagen der Römer und Gallier sowie der Franken und Merowinger. Und gerade einmal hundert Jahre alt sind die hier gezeigten Uniformteile und persönlichen Habseligkeiten französischer Soldaten: Die Männer sind Ende August 1914 in einer der ersten Schlachten des Ersten Weltkrieges im lothringischen Saaraltdorf (Sarraltroff) gefallen und wurden unter deutschem Dauerbeschuss notdürftig in der Erde verscharrt. Hier offenbaren sich beim wissenschaftlichen Umgang mit den Toten aus verschiedenen Epochen bemerkenswerte Unterschiede. Haben die Gebeine der beim Bahnbau entdeckten Weltkriegs-Grenadiere nach ihrer archäologischen Auswertung jetzt spät eine letzte Ruhestätte auf dem Soldatenfriedhof Saarburg gefunden, so wandern die ganz in ihrer Nähe ausgegrabenen Skelette römischer, keltischer und mittelalterlicher Krieger in die Depots von Museen. Dies erläuterte gestern auf Nachfrage der Saargemünder Archäologe Dimitri Mathiot in der Bliesbrucker Ausstellungshalle. Stichwort Sarraltroff: Den drei Meter langen Nothosaurus, der dort ebenfalls bei den Gleisarbeiten ausgebuddelt wurde, gibt es in der Sonderausstellung leider nicht zu sehen. Das Konzept der Schau beschränkt sich auf Exponate aus der Geschichte menschlicher Wesen. Versteinerte Saurierskelette gehören nun einmal nicht in diese Kategorie. Dafür kann man sich in der Ausstellung davon überzeugen, wie weit verzweigt bereits vor Jahrtausenden die europäischen Handelsnetze waren: Fundstücke beweisen anschaulich, dass bereits die frühmittelalterlichen Franken Bernstein aus dem Baltikum und Glas aus Italien ins Land holten. An ein und derselben Fundstelle vor den Toren der lothringischen Ortschaft Bassing wurden allerlei polierte Feuersteine aus der Steinzeit, aber auch ein keltischer Münzschatz gehoben: Dessen Wert entsprach einst anderthalb Jahresgehältern eines gallischen Söldners. Unter anderem stößt der Besucher in der Ausstellung auf Bestattungs-Sitten aus der Vorzeit, die sogar erfahrene Fachleute vor ein Rätsel stellen. „Es geschah etwa 3800 vor Christus“, erläutert Dimitri Mathiot, „dass mehrere verstorbene Frauen in Gruben geworfen wurden, in denen vorher Getreide lagerte“. Kreuz und quer stapeln sich die Knochen in den engen Löchern: Wurden die Frauen durch diese merkwürdige Art der Bestattung für Verbrechen bestraft? Oder wollte man damals schlicht und einfach die Erdlöcher nutzen, die ja ohnehin schon vorhanden waren? Oder steht man hier gar vor den Zeugnissen jungsteinzeitlicher Menschenopfer? „Niemand weiß es“, bedauert Mathiot und verweist auf ein besonderes Exemplar dieser bizarren Gräber: Eine der Damen, deren Überreste in verrenkter Haltung in einer winzigen runden Grube endeten, muss wohlhabend gewesen sein. Darauf lassen die aufwendig gearbeiteten Bein-, Hals- und Armreife schließen, die der Verstorbenen ins Jenseits mitgegeben wurden. Eine strafwürdige Verbrecherin hätte man sicherlich nicht mit solchen Reichtümern bestattet. Und wie gehen die Archäologen mit all jenen Funden entlang der Bahnstrecke um, die nicht in die Sonderausstellung eingingen? „Alles, was im Erdreich entdeckt wurde, haben die Kollegen ausgegraben und verwahrt. Die französischen Vorschriften sehen vor, dass nichts im Boden zurückgelassen wird“, sagt Dimitri Mathiot.

x