Kreis Südwestpfalz „Lassen Sie den Herrn Fragen stellen“

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Pirmasens

. In den 1990er Jahren war Pirmasens für Politiker aller Couleur eine bedeutende Stadt – so wie heute wohl immer noch. Ob im Wahlkampf oder bei anderer Gelegenheit: Irgendwann kamen die damals bekannten Bundespolitiker an den Horeb. Für uns Journalisten natürlich Pflichttermine. Es galt, aus prominentem Mund den einen oder anderen Satz zu Pirmasens, zu einem Pirmasenser oder zu einem aktuellen Vorgang in der Stadt herauszukitzeln. Zeitungsleuten gegenüber verhielten sich die Promis unterschiedlich. Oskar Lafontaine war oft mürrisch. Beim Pfalztreffen der SPD auf dem Exe blaffte Lafontaine den Verfasser dieser Zeilen einmal an. Ob er denn nirgends seine Ruhe haben könne. Nicht besser Helmut Kohl: Er ließ sich vorm Alten Rathaus von seinen Personenschützern so abschirmen, dass man ihn gar nicht ansprechen konnte. Fragen konnten nur über einen Mittelsmann gestellt werden, die Antworten fielen entsprechend nichtssagend aus. Viel umgänglicher zeigte sich Kurt Beck, fast volkstümlich. Ausgesprochen auskunftsfreudig, dabei höflich und freundlich, plauderte Johannes Rau am Rande einer Veranstaltung im Theo-Schaller-Saal. Und eines Tages landete Bundespräsident Roman Herzog in Pirmasens. Er flog mit dem Hubschrauber ein, landete auf einem Gelände an oder in der Schuhfabrik Peter Kaiser. Klassische Betriebsbesichtigung. Vorneweg laufen die Herren von Peter Kaiser mit dem Bundespräsidenten durch den Betrieb, dahinter die Entourage, dann die politische Prominenz der Stadt und ganz hinten dürfen die Zeitungsleute hinterherdackeln. Keine Chance, an den Präsidenten heranzukommen. Es geht durch die Reihen, in denen Arbeiterinnen hinter ihren Maschinen sitzen. Herzog stoppt mal hier, mal da, stellt Fragen, schüttelt freundlich Hände. Da nimmt sich der Autor ein Herz: Statt immer hinterherzulaufen, marschiert er durch die übernächste Reihe und geht von vorn auf den Bundespräsidenten zu. Fünf, sechs Schritte vor ihm setze ich zur ersten Frage an, drei Personenschützer stürzen auf mich zu, wollen mich abdrängen. Herzog aber sagt ganz ruhig: „Lassen Sie den Herrn doch seine Fragen stellen.“ Es wird ein kurzes Interview. Aber der Bundespräsident antwortet lächelnd und bierruhig auf alles, was ich von ihm wissen möchte. Dann zieht er weiter. Die Schuhfabrik hatte übrigens ein Geschenk parat. Ein für die Stadt übliches: Herzogs Gattin bekam ein paar Schuhe. Über das Modell und die Schuhgröße war nichts zu erfahren. Peter Kaiser blieb diskret, denn Herzogs Gattin lebte zwar nicht auf großem Fuß, ging aber auf solchem.

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