Kreis Südwestpfalz „Erzähle nicht gerne, wenn jemand geköpft wird“

CONTWIG/HERSCHBERG. Märchen aus aller Herren Länder trug der Märchenerzähler Franz Speicher aus Herschberg am Dienstagabend im protestantischen Gemeindehaus Contwig vor. Allerdings nicht vor Kindern, sondern vor rund 20 Erwachsenen. Besonders gefreut hat ihn, dass auch zwei Männer im Publikum saßen. Denn Männer haben wohl Angst vor Märchen und Geschichten, wie er erzählte. Weshalb er kaum Märchen der Brüder Grimm im Repertoire hat, und warum ihm moderne Kindergeschichten nicht gefallen, hat der Lehrer im Ruhestand und ausgebildete Geschichtenerzähler unserem Mitarbeiter Mario Moschel verraten.

Herr Speicher, Sie sind ausgebildeter Märchenerzähler. Wie wird man sowas?

Das habe ich in Ludwigshafen im Heinrich-Pesch-Haus gelernt. Da waren zwei gute Leute, der Thomas und der Markus Hoffmeister, beide Theologen, und die haben dort einen Kurs gemacht, der eigentlich für Kindergärtnerinnen war. Aber da ich bei der Kirche angestellt war, habe ich von dem Kurs gehört und mich angemeldet und habe schließlich dreimal teilgenommen. Und zusätzlich einmal in Grünstadt.Und der Kurs hat sich an Kinder als Publikum gerichtet? Nein, es ging hauptsächlich um Sprache und darum, wie man die Leute anspricht. Es ging eigentlich nur ums Erzählen ganz allgemein. Da stand die Technik im Vordergrund, nicht der Inhalt. Heute Abend besteht Ihr Publikum aus Erwachsenen, haben Sie auch Stücke für Kinder im Programm? Ja, ich war vor kurzem noch in der IGS Thaleischweiler, da bin ich immer in den vier fünften Klassen. Die hatten an Weiberfastnacht ein Projekt mit einer Märchenwoche gehabt. Da bin ich jedes Jahr. Im Kindergarten erzähle ich auch meine Geschichten und Märchen, aber dort bitte ich immer darum, dass ich nur vor den Fünf- und Sechsjährigen erzählen kann. Für die kleineren Kinder bin ich nicht der richtige Mann. Warum? Verstehen die Kleineren die Inhalte noch nicht? Nein, das hat mit den Kindern nichts zu tun, sondern mit dem Mann, der erzählt. Ich habe zwar keine Hemmungen, aber es liegt mir eben nicht.Die Themen, die sie erzählen, orientieren sich auch an Bibelgeschichten? Nur, wenn das erwünscht ist. Aber das muss ich dann vorher wissen. Ansonsten erzähle ich Geschichten aus aller Welt. Woher haben Sie die? Sind das die Brüder Grimm von A bis Z? Also Grimm erzähle ich fast gar nicht. Das möchte ich auch nicht, weil die durch die Medien gezogen und auch teilweise verunstaltet werden. Und dann werden die Grimm-Märchen so gestaltet, wie ich persönlich sie nicht erzählen kann. Also erzähle ich Geschichten, die niemand kennt – hoffe ich zumindest.Wo haben Sie die her? Ich habe jede Menge Bücher, unter anderem aus aufgelösten Büchereien. Und darin suche ich meine Geschichten. Ohne Weihnachten und Kindergarten sind es etwa 60 bis 80 Geschichten mittlerweile.... die Sie frei vortragen und im Kopf haben. Wie merken Sie sich die alle? Es sind ja immer Wiederholungen dabei. Wenn ich eine neue Geschichte habe, gehe ich, wenn das Wetter mitspielt, spazieren und erzähle mir die Geschichte selbst beim Spazierengehen, merke mir die Stellen, wie ich holpere, lese dann zuhause noch einmal und schreibe sie dann auswendig in den Computer. Dann weiß ich, dass ich sie habe. Gibt es auch besondere Geschichten, die Ihnen selbst erzählt wurden oder die mit persönlichen Erfahrungen zu tun hat? Nein, eigentlich nicht. Aber in der Ludwigshafener Hauptstraße habe ich mal eine Geschichte gehört, als dort Woche der Geschichtenerzähler war. Da waren tolle Erzähler, auch aus dem Orient. Da habe ich eine Geschichte gehört, die hat mir so gut gefallen, dass ich sie heute Abend vielleicht noch erzähle. Es gibt Geschichten, die gehen nicht an mich. Zum Beispiel die modernen Kindergeschichten, die man heute schreibt, die empfinde ich als flach. Da gibt es keine Höhepunkte, keine Spannung, keine Entspannung. Sie haben afrikanische Märchen erwähnt. Gibt es große Unterschiede von den Kulturkreisen her, oder sind Geschichten immer ähnlich aufgebaut? Eigentlich schon. Ich habe auch schon erlebt, dass ich in unterschiedlichen Büchern die fast gleiche Geschichte gefunden habe. Es gibt auch Geschichten, die muss man nicht erzählen. Zum Beispiel erzähle ich nicht gerne, wenn jemand geköpft wird oder so.Wie viele Auftritte haben Sie im Jahr? Ganz wenige. Ich bin nicht so gefragt. Ich mache es hauptsächlich, damit ich was zu tun habe und geistig fit bleibe. Erzählen Sie daheim Geschichten? Nein. Früher, als ich vor sechs, sieben Jahren anfing mit dem Geschichten erzählen, da half mir mein Enkel. Der hat mir dann gesagt: „Opa, die kannsche losse.“ Oder er hat gesagt: „Opa, die is nix.“ Er hatte ein gutes Gespür dafür.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x