Jettenbach Musikantenhaus in Jettenbach: Auf der Spur der Ahnen

Das Musikantenhaus in der heutigen Jettenbacher Hauptstraße wurde vor 110 Jahren erbaut.
Das Musikantenhaus in der heutigen Jettenbacher Hauptstraße wurde vor 110 Jahren erbaut.

Im Hauptberuf ist Frank Hertel promovierter Chefarzt für Neurochirurgie am Klinikzentrum Luxemburg. Als Spezialist für Hirnoperationen wird der Pfälzer zu Vorträgen rund um den Erdball eingeladen. Die Weltläufigkeit verbindet ihn mit den einstigen Wandermusikanten. Jetzt knüpft er an diese Tradition an – als Dokumentarist und Bauherr.

Der 56-jährige Frank Hertel ist in Jettenbach aufgewachsen, einem einstigen Zentrum des Westpfälzer Wandermusikantentums. Das Haus seiner verstorbenen Eltern ist eines der besterhaltenen Gebäude, die im Stil der sogenannten Musikantenhäuser errichtet sind. Frank Hertel hat es jetzt nicht nur originalgetreu saniert, sondern auch die Baugeschichte dokumentiert.

Ein Schulprojekt gab den Anstoß

„Die Initiative geht eigentlich auf meinen Sohn Philip zurück“, sagt der Mediziner. „Der wollte das ursprünglich für ein Schulprojekt machen.“ Damit weckte er das Interesse seines Vaters, der in dem Gebäude seine Kindheit und Jugend verlebt hat: „Dass daraus eine so umfangreiche Recherche werden sollte, haben wir nicht erwartet.“ Die Nachforschungen haben dazu geführt, dass das Hertelsche Haus jetzt ins Kataster des von der Bundeskulturstiftung angestoßenen Projekts „Trafo – Modelle für Kultur im Wandel“ aufgenommen wird.

Die Kreise Kusel und Kaiserslautern haben sich 2021 zusammengetan, um die Geschichte der Wandermusikanten unter dem Dach des Trafo-Programms zu dokumentieren. Das eigens auf Burg Lichtenberg eingerichtete Musikantenlandbüro soll die Kommunen der Region dabei unterstützen, ihre „individuelle Beziehung“ zu den musizierenden Vorfahren „zu erforschen und weiterzuentwickeln“.

Elaine Neumann unterstützte das Projekt.
Elaine Neumann unterstützte das Projekt.

So formuliert es die Büro- und Projektleiterin Elaine Neumann, die Frank Hertel bei seiner Recherche unterstützt und andererseits von ihm umfangreiches Datenmaterial erhalten hat.

Das Haus des Urgroßvaters

Hertels Elternhaus wurde 1913 von seinem Urgroßvater Emil Bock in der Jettenbacher „Gass“ errichtet. Zuvor stand an derselben Stelle das Haus „Hofhannesse“, das von der Musikantenfamilie Wenz gebaut worden war. Später gehörte es den Wendels, die ab 1871 Österreich und die Schweiz, Holland, England, Schweden, Norwegen, Finnland und sogar Russland bereisten. Die Routen ihrer Tourneen hat Frank Hertel anhand der Ortschronik dokumentiert, die 1998 von Michael Cappel und Klaus Leonhard veröffentlich wurde.

Im Übrigen stützt er sich vor allem auf die Arbeiten von Paul Engel, dem heute 90-jährigen Musikhistoriker aus Kusel. Er ist der eigentliche Vater des Museums auf Burg Lichtenberg. Dessen Pendant in Mackenbach geht vor allem auf den nimmermüden Einsatz des (unlängst mit 93 Jahren verstorbenen) Spezialisten Elwir Held zurück.

Musikhistoriker Paul Engel
Musikhistoriker Paul Engel

Die Jettenbacher „Gass“ war damals die Verlängerung der Hauptstraße, in der seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reihe von „Musikantenhäusern“ entstand. Vom ursprünglichen Wohngebäude der Familie Wendel besteht noch der Gewölbekeller. Der Bauherr von 1913 war mit der Tochter eines Musikanten verheiratet, der mindestens zehn Gastspielreisen nach Holland und Amerika absolvierte.

Frank Hertel hat die Biografien, Fahrten und Bauaktivitäten seiner Altvorderen so liebevoll wie detailliert nachverfolgt. Die Ergebnisse seiner Fleißarbeit sind in einer kleinen Broschüre gesammelt. Ergänzt sind viele Fotos, Karten und Dokumente wie historische Ausreisegenehmigungen und die Berufszertifikate Emil Bocks, der bis in die 1950er Jahre in seinem Haus in der „Gass“ als Bader, Zahntechniker und Barbier praktizierte.

Im Hauptberuf Chefarzt: Frank Hertel.
Im Hauptberuf Chefarzt: Frank Hertel.

Seine Hauschronik hat der habilitierte Neurochirurg inzwischen auch Elaine Neumann zur Verfügung gestellt. Sie spricht von einem „echten Glücksfall, weil das Gebäude sehr gut erhalten und die Provenienz so lückenlos dokumentiert ist“. Zwar wurde das Haus Hertel seit 1967 mehrfach renoviert, ergänzt und umgebaut. Die Merkmale eines „Musikantenhauses“ blieben jedoch erhalten. Der typische geschnitzte Giebel − mundartlich „Frontspitz“ oder „Mussikante-Gewwel“ genannt – wurde sogar als Musterbeispiel für den üppigen Stil im Museum auf Burg Lichtenberg rekonstruiert.

Die Lyra an der Außenfassade ist angebracht: Frank Hertel (Zweiter von rechts) mit Frau Ilona, Sohn Philip und Schwiegervater Er
Die Lyra an der Außenfassade ist angebracht: Frank Hertel (Zweiter von rechts) mit Frau Ilona, Sohn Philip und Schwiegervater Ernst Spoo-Niesen.

Im Begleitbuch zur dortigen Ausstellung schreibt Paul Engel: „In großem Ausmaß entstanden durch Umbauten im Ortskernbereich und durch Neubauten in den Außenbezirken der typischen Musikantendörfer wie Jettenbach, Mackenbach, Hinzweiler, Rothselberg, Bosenbach, Wolfstein, Etschberg, Hohenöllen (...) ganze Musikantenviertel.“

Die Lyra als eine Art „Zunftzeichen“

Mit der Gestaltung und Ausstattung wollten die – einst aus wirtschaftlicher Not aufgebrochenen – Musikanten zeigen, dass sie auf ihren Reisen zu Wohlstand gekommen waren. Am Giebel brachten sie zuweilen die Lyra als eine Art „Zunftzeichen“ an. Andere griffen Stilmerkmale ihrer Gastländer auf, etwa das von australischen Farmhäusern beeinflusste Gasthaus „Storchennest“ in Jettenbach.

Es war übrigens ein Jettenbacher – der protestantische Pfarrer Johann Heinrich Schowalter –, der um 1905 die pfalzweit erste Musikschule ins Leben rufen wollte. Er hatte keinen Erfolg. Dann setzte der Erste Weltkrieg den Orchestertourneen ein jähes Ende. 1939 legte die Nazi-Diktatur per Dekret fest, dass die Tätigkeit der Wandermusikanten „nicht als Verbreitung von Kulturgut anzusehen“ sei: der willkürliche Schlussstrich für eine 100 Jahre alte Erfolgsgeschichte.

Männern wie Elwir Held und Paul Engel ist es zu verdanken, dass die Erinnerung lebendig bleibt. Nachgeborene Musiker führen sie fort. Traditions- und geschichtsbewusste Erben halten sie wach. Initiativen wie das Trafo-Projekt dokumentieren sie. Rund um Kusel und Kaiserslautern haben bislang 15 Eigentümer historischer Musikantenhäuser eine Plakette erhalten, die über die jeweilige Baugeschichte informiert. „Neue kommen ständig dazu“, sagt Elaine Neumann.

In über zweijähriger Arbeit wurde das Anwesen von Grund auf und originalgetreu saniert.
In über zweijähriger Arbeit wurde das Anwesen von Grund auf und originalgetreu saniert.

Frank Hertel hat sein Haus gemeinsam mit der Familie, Freunden und Bekannten zu einem Gutteil in Eigenleistung von Grund auf saniert. „Wie viele Stunden, kann ich ehrlich nicht sagen“, blickt er zurück. Außerdem waren neun Profifirmen beteiligt. In die Dach- und Heizungserneuerung, Fenster, Bäder, Elektro- und Wasserleitungen floss ein sechsstelliger Betrag. Zuschüsse gab’s für die energetische Umrüstung und aus dem Dorferneuerungs-Programm.

Die vom Trafo-Projekt bereitgestellten Hinweistafeln enthalten außerdem einen QR-Code, der weitere Informationen liefert. Auf der Internetseite des Programms (www.westpfaelzer-musikantenland.de) soll es demnächst eine Karte der aufgenommenen Häuser geben, um Historikern, Nostalgikern und Heimatfreunden die Anfahrt zu erleichtern.

Der Herr Doktor hat – neben seiner Klinik-, Lehr- und Forschungsarbeit – derweil ein weiteres Betätigungsfeld gefunden. Zusammen mit Sohn Philip will er einen im Jettenbacher Schuppen gefundenen Oldtimer-Traktor wieder funktionstüchtig machen.

Ein im Keller entdecktes Tenorhorn, das um 1900 in der Werkstatt eines New Yorker Instrumentenbauers gefertigt und vermutlich vom Ur-Urgroßvater nach Jettenbach gebracht wurde, befindet sich derzeit in Reparatur. „Es ist wahrscheinlich kein sehr wertvolles Stück“, sagt der Luxemburger Arzt. „Aber für mich ist es eine schöne Erinnerung.“

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