Kusel „Wir brauchen mehr Mut“

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Wer bleibt zu Hause und hütet die Kinder, was bringt die Frauenquote, und wieso bekommen Männer und Frauen für die gleiche Arbeit nicht immer das gleiche Geld? Diesen Fragen gingen Schüler der Integrierten Gesamtschule (IGS) Contwig am Freitagmorgen in einer Podiumsdiskussion nach. Zu Gast waren die SPD-Europaabgeordnete Jutta Steinruck und Susanne Ganster, frauenpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion.

Jungs interessieren sich eher für Computer und Naturwissenschaften als Mädchen, das sei biologisch, behauptete Lehrer und Moderator David Polak provokativ. Da verriet nicht nur das Gesicht der Landtagsabgeordneten Ganster Zweifel. Die Schülerinnen widersprachen entschieden: Erstens sei es falsch, sagte ein Mädchen, das sich, wie es erzählte, für Motorräder interessiert – was oft als Männer-Domaine bezeichnet wird. Außerdem, so eine zweite Schülerin, komme es auf die Erziehung an. Wenn bei einem Mädchen alles in rosa gehalten wird, sei es halt unwahrscheinlich, dass das Kind aus seinem Rollenmuster herauskommt. Die Diskriminierung von Frauen in Europa war Thema der Diskussion. Besonders ging es dabei um die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Frauen – und auch Männer –, die eine Weile zu Hause beim Kind bleiben, sollen behandelt werden, als seien sie erwerbstätig, forderte Jutta Steinruck. „Denn arbeiten tun sie auf jeden Fall“, sagte sie mit einem Lächeln. Sie halte nichts davon, dass während der Elternzeit nur ein Teil des vorherigen Lohns gezahlt werde. Tatsächlich seien Kinder ein Armutsrisiko. Das dürfe nicht sein. Darauf gingen die Elftklässler ein: Der Staat müsse gesetzliche Anreize setzen, damit mehr Menschen wieder Kinder bekommen. So könne man gegen den demografischen Wandel angehen, meinte jemand. „Kinder dürfen nicht das Gefühl haben, dass ihre Eltern Nachteile durch sie haben, dass sie eine Last sind“, sagte ein Schüler. Er spielte darauf an, dass besonders Frauen ihre Karriere auf Eis legen, um bei den Kindern zu bleiben. Kinder dürfen nicht nur als Wirtschaftsfaktoren gesehen werden, fand auch Ganster. „Kinder bereichern das persönliche Lebensglück“, sagte die CDU-Landtagsabgeordnete. Steinruck berichtete, dass sie selbst als alleinerziehende Mutter gearbeitet habe. „Rabenmutter“ habe sie damals so mancher genannt. Inzwischen hätten sich die Zeiten geändert. Es komme auf die Familiensituation an: Mutter oder Vater könnten beruflich eine Weile zurückstecken, oder man wechsele sich ab. Die Gesellschaft müsse flexibel auf unterschiedliche Lebensgestaltungen reagieren. „Wir brauchen mehr Mut in den Köpfen“, mahnte Steinruck, nicht in festgefahrenen Mustern zu denken. „Frauen machen die besseren Studienabschlüsse, Frauen machen die besseren Berufsabschlüsse“, sagte Steinruck. Wenn die Frauen aber Zeit brauchen, weil sie Kinder bekommen, würden sie von den Männern auf dem Arbeitsmarkt überholt. Selbst in typischen Frauenberufen, etwa in der Pflege oder als Erzieherin, fänden sich meist Männer in den leitenden Positionen, obwohl doch viel mehr Frauen diese Tätigkeiten ausüben. Daran müsse man arbeiten, findet die SPD-Politikerin. Tatsächlich liege Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Ländern weit hinten, wenn es um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt geht. Auch müssten gerade die Pflegeberufe und die Arbeit im Bildungssystem mehr Wertschätzung erfahren. „Ein Mechaniker, der eine Stunde lang ein Auto repariert, verdient ein Vielfaches von einer Krankenschwester, die sich eine Stunde lang um einen Menschen kümmert“, nannte die EU-Abgeordnete als Beispiel. Ganster erinnerte an Bemühungen, Mädchen für „Männer-Berufe“ zu interessieren, angefangen vom „Girls` Day“ in der Schule über Stipendien für Frauen in naturwissenschaftlichen Fächern bis zu den Mint-Projekten, die versuchen, Frauen für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften zu gewinnen. Als Beispiel rückständiger Meinungen berichtete Steinruck von einer Masse an – teilweise wüsten – Beleidigungen, die in den vergangenen Tagen über eine Reporterin hereinbrachen, die als Frau Fußballspiele der Europa-Meisterschaft kommentierte.

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