Kreis Germersheim „Ich bin behindert, aber ich will arbeiten“

Jeden kann es treffen: Ein Unfall oder eine schwere Krankheit macht es von heute auf morgen unmöglich, wie gewohnt zu arbeiten. Seit fast zehn Jahren arbeitet Jennifer Krecke im Mercedes-Werk in Wörth. Plötzlich wird die 34-Jährige schwer krank. Seit August vergangenen Jahres gilt sie als schwerbehindert. In einer vielfältigen Arbeitswelt muss das keine Totalkatastrophe sein, weder für den Arbeitnehmer noch für das Unternehmen – eigentlich. Doch ihr Arbeitgeber lasse sie im Stich, meint Krecke. Trifft man sie, bemerkt man nichts von ihrer Behinderung. Die blonde Frau wirkt vital, ja körperlich robust, hellwach und dynamisch. Die Medikamente wirken, sagt sie. Doch wegen ihres Krankheitsbildes darf sie keinen Stapler mehr fahren, nicht mehr auf Leitern steigen, keine schweren Lasten heben und nicht weiter im Schichtbetrieb arbeiten. Das berufliche Aus für die Logistikerin. „Der Job geht einfach nicht mehr“, sagt Krecke mit Bedauern. Sie habe die Arbeit sehr gerne gemacht. Wie geht es für sie weiter? Ist ein fester Mitarbeiter plötzlich ernsthaft krank oder gar dauerhaft behindert, dann hat der Arbeitgeber alles in seiner Macht stehende zu tun, um das Beschäftigungsverhältnis dennoch aufrecht zu erhalten. So steht es im Sozialgesetzbuch. Arbeitgeber, Mitarbeiter und Betriebsrat sollen gemeinsam nach Lösungen suchen, wo und wie man ihn am besten weiter einsetzen kann. Hat der Betrieb mehr als 20 Beschäftigte, ist er sogar verpflichtet, fünf Prozent seiner Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten zu besetzen. Also wandte sich Krecke nach der Reha im Januar zwecks Wiedereingliederung in den Betrieb an ihren Arbeitgeber. Sie erhielt einen Termin beim Betriebsarzt, der ein Fähigkeitsprofil erstellen sollte, um zu klären, was für eine Tätigkeit sie zukünftig ausführen könne. Sie habe dem Arbeitgeber in Gesprächen sehr deutlich gemacht, „dass ich durchaus noch etwas dazulernen kann“. Das Arbeitsamt beteiligt sich mitunter an Kosten für Fortbildungen, wenn so der Arbeitsplatz gerettet werden kann. An einem späten Freitagnachmittag im März – am Montag sollte die Wiedereingliederung mit kurzen Arbeitstagen beginnen – erhielt Krecke einen Anruf der Personalabteilung: „Die Sachbearbeiterin sagte mir, dass sie keinen Arbeitsplatz in Wörth oder Germersheim für mich gefunden haben, ich solle in der Wiedereingliederung zu Hause bleiben.“ Als Krecke nicht locker ließ und telefonisch weiter nachfragte, „wurde mir nach zwei Wochen mitgeteilt, dass die Wiedereingliederung abgelehnt sei“. Dass Daimler wirklich keinen Job für sie hat, will Krecke nicht glauben: „Es gibt eine Menge Arbeitsplätze, die Eingeschränkte und Behinderte sehr gut machen könnten.“ Krecke nennt „Tordienst, Werkschutz, Telefonzentrale, LKW-Leitstelle oder Verpackung“. Nur würden diese Jobs meist von Ferienarbeitern oder studentischen Aushilfen gemacht. „Außerdem habe ich gefragt, wer jetzt mein Monatsgehalt zahlt, wo ich gesundgeschrieben bin“, sagt Krecke. „Die Sachbearbeiterin sagte zu mir, ’Sie arbeiten nichts, also haben sie auch kein Geld von uns zu erwarten’ und ich solle mich weiter krankschreiben lassen.“ Eine gerichtliche Auseinandersetzung scheute Krecke. „Mein Gehalt einzuklagen würde Monate dauern.“ In der Zwischenzeit hätte sie Arbeitslosengeld II beantragen müssen, glaubt Krecke. „Denn ich habe erst Arbeitslosengeld, wenn ich meine 18 Monate Krankengeld ausgeschöpft habe.“ Krecke sieht darin eine Volte ihres Arbeitgebers, um eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen: „Dann können sie argumentieren, dass ich schon zu lange krankgeschrieben bin.“ Einen Antrag auf krankheitsbedingte Kündigung habe ihr Arbeitgeber beim Integrationsamt gestellt. „Dagegen werde ich aber angehen. Ich bin zwar behindert, aber ich kann und will arbeiten.“ Ein Gesprächstermin, mit Betriebsrat, Arbeitgeber und Integrationsamt, bei dem über die Weiterbeschäftigung entschieden wird, stehe noch aus. Zum konkreten Fall will sich die Daimler AG auf Anfrage mit Verweis auf den Datenschutz nicht äußern. Dass die Mitarbeiterin von der Personalabteilung unter Druck gesetzt worden sei, weist ein Unternehmenssprecher „entschieden zurück“. Wie viele für Schwerbehinderte geeignete Arbeitsstellen es an den Standorten Wörth und Germersheim gibt und wie viele Menschen mit Behinderung dort tatsächlich beschäftigt seien, ließ er offen. Insgesamt beschäftige die Daimler-AG in Deutschland 8300 Mitarbeiter mit Behinderung. Das seien sechs Prozent der Beschäftigten, womit das Unternehmen die gesetzliche Quote von fünf Prozent übertreffe. Die Integration behinderter Menschen sei dem Unternehmen ein wichtiges Anliegen, so der Sprecher weiter. Einsatzmöglichkeiten für solche würden daher immer sehr gründlich geprüft. Personalbereich, Werksärztlicher Dienst, Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat und Integrationsamt arbeiteten eng zusammen, „um insbesondere auch schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen und gegebenenfalls wieder zu integrieren, sie durch innerbetriebliche Maßnahmen zu fördern“.

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