Kreis Germersheim „Förmlich betäubt und moralisch vergewaltigt“

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«Pfortz-Maximiliansau». Nach dem Ersten Weltkrieg führte die deutsche Republik die allgemeine, gleiche, direkte und geheime Verhältniswahl ein. Dieses freiheitliche Staatswahlrecht prägte das politische Gesicht des früheren Pfortz und des heutigen Maximiliansau.

Rücksichtslos demonstrierten die Nationalsozialisten ihren Machtanspruch: Rund 400 Parolen brüllende, vorwiegend badische junge SA-Leute zogen am 19. Oktober 1930 über Wörth, Hagenbach zurück nach Pfortz. Eine von Fahnen und Transparenten gesäumte Gefallenenehrung am Kriegerdenkmal geriet zum erwarteten Tumult: „Die Aufgänge zum Kriegerdenkmal waren von Gegendemonstranten besetzt. Die Gendarmerie hatte größte Mühe, die immer wieder anstürmende Menge, welche die Kranzniederlegung verhindern wollte, in Schach zu halten“ und „Schlägereien im Keime zu ersticken“. Laut Polizeireport hörte man „häufige Rufe: ,Pfui, pfui, heil Moskau.“ Diese wurden mit Gegenrufen ,Heil Hitler’ beantwortet“. Anzeigen wegen Waffenbesitzes und des leicht zu umgehenden Uniformverbots, ständige „Zusammenstöße mit Kommunisten“ sowie SA-Attacken „mit Fäusten, Gummiknüppeln und Lederriemen auf alle Umstehenden, auch Frauen und Kinder“, prägten den Tag. Unter der Oberfläche lärmender Tagesaktivitäten zementierte die NSDAP ihre Lokalpräsenz. Von hier dirigierte Fritz Welsch, Ingenieur im Linoleumwerk Maximiliansau, die NSDAP-Ortsgruppe „Rhein-Lautereck“. Sie umfasste die NS-Stützpunkte zwischen der Staatsgrenze und Wörth. Die wenigen NSDAP-Mitglieder in Pfortz-Maximiliansau leitete seit Herbst 1931 Otto Menikheim, ein 46-jähriger Kriegsinvalide. Als Ortszellenleiter sollte er 1933/34 „häufige Haussuchungen und eine größere Zahl Verhaftungen nach seinem Gutdünken vornehmen“, ja „den ganzen Ort in Angst und Schrecken“ versetzen, bezeugte Nachkriegsbürgermeister Josef Müller (CDU). Mitte 1932 motivierte die Aufhebung des SA- und Uniformverbots den NS-Aktivisten. Die fortschreitende Verrohung der politischen Umgangsformen gipfelte im bisher gewaltsamsten Wahlkampf: Paramilitärisch formierte Parteieinheiten bereiteten den Wahltag am 31. Juli vor – mit Schlägereien, Saalschlachten, Schießereien und so weiter. Die seit Februar 1932 in der Eisernen Front vereinigten Pfortzer Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Arbeitersportler wirkten dagegen harmlos-defensiv. Am 22. Juli erlebte die Gemeinde den Bürgerkrieg: Frustriert durch die Ablehnung der Einwohner marschierten 60 auswärtige SA-Leute spätabends von einer NS-Veranstaltung „ins Dorf, um auf einzelne Passanten Jagd zu machen. Dies glückte ihnen nicht“. Nun stürmten sie das SPD-Parteilokal (Gasthaus „Krone“) und demolierten es. „Durch den Lärm“, schilderte die Presse, „war bald die Bevölkerung alarmiert und die Nazis mit blutigen Köpfen in die Flucht geschlagen. Von Seiten der Nazis fielen etliche Schüsse, ohne zu treffen. Etwa eine Stunde später gingen die Nazis verstärkt zum zweiten Angriff vor“, den aber die Gendarmerie vereitelte. „Die Nazis hatten nachts nichts mehr in Pfortz zu suchen gehabt. Aber dass sie Schlechtes im Schilde führten, beweist schon, dass sie sich vorher von den einheimischen P[artei]g[enossen] die Wohnungen der Arbeiterführer und das „rote Haus“ zeigen ließen“. Am frühen Morgen zählte man zwei Schwer- und einige Leichtverletzte. Solche Exzesse stießen zwar viele Wähler ab, faszinierten jedoch eine fanatisierte wachsende Minderheit. Mit 16,5 Prozent rückte die verdoppelte NSDAP vor die Kommunisten auf den 3. Rang. Seit dem 30. Januar 1933 regierte Reichskanzler Hitler. Straßenterror und gesetzlich-behördliche Einschränkungen setzten die Kampagnen der Mitte-Links-Parteien unter massiven Druck. Zugleich verstand es der NS-Wahlkampf, „mit einer ungeheuren rücksichtlosen Propaganda das Volk förmlich zu betäuben und moralisch zu vergewaltigen“, bilanzierte der katholische Pfarrer Hermann Quack. 20,1 Prozent für die NSDAP waren im Bezirksvergleich mäßig, gemessen an den besonderen örtlichen Verhältnissen aber beachtlich. Wie schnell sich politische Positionen nach dem 5. März 1933 auf dem Weg in die Diktatur veränderten, beobachtete der Geistliche: „Im Allgemeinen bleiben die Katholiken fest und halten treu zu Pfarrer und Kirche; ein großer Teil der bisherigen Kommunisten entdeckt nun auf einmal sein nationalsozialistisches Herz, und man wird, wie es am aussichtsreichsten ist, über Nacht Hitler. Manche der vielen aus anderen Parteien handeln ebenso, nicht so sehr aus Überzeugung als vielmehr der Not gehorchend, oft sogar unter direktem Zwang“. Lesezeichen Der Autor hat Maximiliansaus Staatswahl-Ergebnisse detailliert dargestellt: „Politik und Wahlverhalten in den Gemeinden des Bezirksamts Germersheim. Die Landtags-, Reichstags-, Reichspräsidentenwahlen und Volksentscheide von 1919 bis 1933“, in: Schriftenreihe zur Geschichte des Landkreises Germersheim, Band 4 (N.F.), Germersheim 2016, 276 Seiten, 19,80 Euro. Bestellung: VHS Germersheim, 07274 53-319, k.traeber@kreis-germersheim.de.

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