Kreis Germersheim „Betrunken vor Mut“ geht’s an die Front

Germersheim. Im Hotel „Salmen“ in der Königstraße einquartiert, wurde Ludwig Zoeller Zeuge, wie ein Infanteriebataillon aus der Festung Germersheim singend und mit klingendem Spiel zur Front abrückte. Der Erste Weltkrieg hatte begonnen.

Er vermerkte dazu: „Die Leute waren geradezu wie betrunken vor Mut und Begeisterung. In den Gewehrläufen steckten Blumen und Fahnen und jauchzend zog die Truppe ab, als ob es zu einer Kirchweihrauferei gehen würde. Mit Wehmut dachte ich, daß nur wenige von so viel blühender Jugend die Heimat wiedersehen würde.“ Der Germersheimer Stadtrat mit Bürgermeister Jakob Diehl an der Spitze, ließ es sich nicht nehmen, die Soldaten der Garnison, insbesondere die des seit 1878 in Germersheim stationierten 17. Infanterie-Regiments „Orff“, am Bahnhof zu verabschieden. Alleine von dieser Einheit waren es 3028 Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, die in den Abend- und Nachstunden des 6. und 7. August 1914 vom Bahnhof aus die Fahrt zu den Schützengräben des Ersten Weltkriegs antraten. Wie es Michael Kißener formuliert hat, erlebte die alte, bis dahin niemals wirklich bedrohte Festungsstadt mit den Kriegsvorbereitungen in zuvor noch nicht erlebten Ausmaßen damals den Eintritt in die Ära der modernen Massenvernichtungskriege. Während die aktiven Einheiten der Garnison abrückten, traten Reservisten und Ersatztruppen an ihre Stelle, die in Germersheim ausgebildet und auf die Kämpfe vorbereitet werden sollten. Tausende von Armierungsarbeitern brachten die in militärtechnischer Hinsicht veraltete Festung „auf Vordermann“. Sie legten eilig einen Gürtel betonierter Infanterie- und Artilleriestellungen um die Stadt herum an, da man zunächst einen Durchbruch der Franzosen zwischen Metz und Straßburg erwartete. Doch nicht nur in Germersheim nahmen die Menschen die tiefgreifenden Veränderungen wahr, die der Kriegsbeginn mit sich brachte. Auch in den Umlandgemeinden, an der Peripherie der Militäranlage „Festung“ machten sich die Begleiterscheinungen der anlaufenden Kriegsmaschinerie nur allzu deutlich bemerkbar. Aus Ottersheim berichtete Fritz Steegmüller über jene Zeit beispielsweise: „In den folgenden Tagen war das Dorf der Schauplatz lebhafter Truppen- und Materialtransporte. Kolonnen von Lastautos und Lazarettwagen fuhren durch Ottersheim, was für die damalige Zeit etwas Außergewöhnliches war. Da in Bellheim die Bauernpferde ausgemustert wurden, riß der Verkehr auf der Straße nicht ab.“ Die auf dem Gollenberg bei Bellheim mit dem Bau von Stellungen beschäftigen Armierungsarbeiter hatte man in Germersheim, Bellheim, Rülzheim, Knittelsheim, Ottersheim und anderen Orten untergebracht. Sie schufteten von 5 Uhr morgens bis 5 Uhr nachmittags und füllten abends, nach Dienstschluss, die Dorfwirtschaften, wo Stühle und Tische oftmals in den Höfen und an der Straße entlang aufgestellt werden mussten. In Ottersheim sollen alleine 1000 Armierungsarbeiter untergebracht gewesen sein. Im nahen Bellheim wurde die Betriebsamkeit jener ersten Kriegstage besonders greifbar. Dort trafen seit den ersten Mobilmachungstagen Tonnen von Armierungsmaterial am Bahnhof ein, wo es von zeitweise 100 Mann eines Arbeitskommandos und 150 Mann eines Entladekommandos entgegen genommen wurde. Ungefähr 4000 Armierungssoldaten bauten in und um Bellheim Feldbefestigungen – nicht eingerechnet die im Ort vorübergehend einquartierten regulären Truppen. Mit der allgemeinen Mobilmachung und der Kriegserklärung ging im August 1914 die Verhängung des Standrechts einher. Gleichzeitig wurde die vollziehende Gewalt auf die Militärbefehlshaber übertragen. Eine Fülle von Vorschriften und Bekanntmachungen regelte nun das öffentliche Leben. So erließ der Germersheimer Festungsgouverneur Generalleutnant von Fischer in jenen Tagen eine Fülle verschärfter Anweisungen, die etwa den Ausflugsverkehr an Sonn- und Feiertagen nach Germersheim verboten. Schnell wurde deutlich, dass die Tage des beschaulichen Zusammenlebens mit dem Militär in der Festung vorüber waren und sich die Stadt in einen geschlossenen militärischen Sicherheitsbereich verwandelt hatte. So las man im August 1914 in der genannten Bekanntmachung einen an die Bewohner der umliegenden Gemeinden gerichteten Appell: „Dem Ernst der Lage ist es zuwider, daß an Sonntagen Ausflüge zu Fuß, Fahrrad oder gar zu Wagen nach Germersheim oder in Orte am anderen Rheinufer gemacht werden … Wer überflüssige Zeit hat, soll anderen bei Erntearbeiten helfen.“ An Sonn- und Feiertagen wurde zudem die Polizeistunde in den Wirtshäusern für Germersheims Zivilbevölkerung auf 8 Uhr abends festgesetzt. Deshalb benötigten die Bürger, welche die Stadt verlassen und wieder betreten wollten, eine amtliche Genehmigung.

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