Kreis Bad Duerkheim Narrenfreiheit bei Vorurteilen

Herr Delfeld, singen Sie manchmal das Volkslied „Lustig ist das Zigeunerleben“?

(lacht) Nein, nie, so einen Kitsch pfeife ich nicht einmal. Ich gehöre zur Generation Beatles und Rolling Stones. Trotz des positiven Bildes im Lied wollen einer neuen Studie zufolge ein Drittel der Deutschen keine Sinti und Roma als Nachbarn. Warum? Um das zu erklären, müsste man sehr weit zurückgehen in der Geschichte. In der Gesellschaft haben sich über die Jahrhunderte Bilder verfestigt, die man jetzt nur sehr schwer wieder aus den Köpfen bekommt. Wenn man aber heute mal nachfragt, was die Menschen wirklich wissen über Sinti und Roma, wird vielen bewusst, dass sie Vorurteile haben. Dann sind offenbar auch die Medien stärker gefordert. Was machen wir falsch? Darüber sind wir ja auch schon mit der RHEINPFALZ im Gespräch gewesen. Ich wünsche mir, dass manche Reporter selbstkritischer werden und auch ihre eigenen Einstellungen hinterfragen. Noch immer werden Klischees auch durch negative Berichte gefestigt, und bei manchen Blättern ist das offenbar sogar Absicht, weil es die Auflage erhöht. Letztlich geht es bei unserer Verbandsarbeit um Bürgerrechte. Haben die Ergebnisse der Studie Sie überrascht? Nein, die kenne ich zwar erst seit ein paar Tagen, aber das ist für mich nichts Neues. Es gibt ja schon ähnliche Studien, die Leipziger, die Bielefelder. Die sagen im Prinzip alle dasselbe aus: Sinti sind nach den Muslimen die Gruppe, die am meisten mit Vorurteilen zu kämpfen hat. Gut ist aber, dass eine Einrichtung des Bundes diese Tatsache zum Thema macht. Und was kann man gegen solche Vorurteile tun? Denken Sie einfach mal an diese Zuschreibung „Sinti und Kriminalität“. Wenn man da das Wort Sinti gegen Jude austauschen würde, wäre jedem gleich bewusst, was er da tut. Aber, wie Romani Rose sagt (Anmerkung der Redaktion: der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma) ist Antisemitismus geächtet, aber Antiziganismus genießt Narrenfreiheit. Ein Beispiel war dieser NPD-Wahlkampfslogan „Rente für die Oma, kein Geld für Sinti und Roma“. Da gibt es keinen öffentlichen Aufschrei, und er erfüllt nicht einmal den Tatbestand der Volksverhetzung. Immerhin will Justizminister Maas rechtsextrem motivierte Gewalt gesondert verfolgen. Das ist eine Folge der Mordserie des NSU. Da war im Übrigen ja auch nach dem Mord an der Polizistin Nicole Kiesewetter in Heilbronn verbreitet worden, dass die Tatwaffe aus Kreisen der Sinti und Roma in Worms stammen würde. Das war falsch, aber dafür gibt es aus Baden-Württemberg bis heute keine Entschuldigung. Womit wird denn Ihr Landesverbandes konfrontiert? Wir hatten allein im vergangenen Jahr über 50 Fälle von Diskriminierung, Mobbing am Arbeitsplatz, Mobbing in der Schule, Benachteiligung bei der Wohnungssuche. Wie läuft so etwas ab? Diskriminierung ist wie Kaffeetrinken, aber die Auswirkungen für die Betroffenen sind gravierend. Nehmen sie das Beispiel Wohnungssuche: Da erkundigt man sich am Telefon und vereinbart einen Besichtigungstermin, und so weit läuft alles normal. Aber wenn Sie dann dem Vermieter gegenüberstehen, kommt sehr schnell die Feststellung: Sie sprechen aber gut Deutsch! oder die Frage: Wo kommen Sie denn eigentlich her? Und wenn Sie dann sagen: aus Landau, kommt garantiert die Nachfrage: Ja aber Ihre Eltern? Um noch mal auf dieses blöde Lied zurückzukommen: Da heißt es „brauchen dem Staat keine Steuern zu geben“ – das sind Bilder, die bleiben. Aber sie sind falsch: Wir sind seit Jahrhunderten deutsche Staatsbürger, gehen ganz normal zur Arbeit, zahlen unsere Steuern und tragen zum Bruttosozialprodukt bei. Wie und wo leben die Sinti und Roma dann? Oft noch immer zusammen in bestimmten Vierteln und Siedlungen. Insgesamt ist die Situation viel besser geworden. Früher war es gang und gäbe, dass Sinti am Rand der Siedlungen leben mussten. Das ist heute eher selten, aber die Ghettoisierung gibt es noch. Denken Sie zum Beispiel an Neustadt. Da gibt es eine Sinti-Siedlung neben der Mülldeponie. Jetzt will die Stadt menschenwürdige Wohnungen bauen, aber es hat sich eine Bürgerinitiative gebildet, die die Menschen nicht in ihrer Nachbarschaft haben will. Am besten wäre natürlich, wenn Sinti und Roma ganz normale Wohnungen in ganz normalen Nachbarschaften bekämen. Von wie vielen Sinti und Roma sprechen wir denn eigentlich? 70.000 bis 80.000 in Deutschland, und vielleicht 8000 bis 12.000 in Rheinland-Pfalz. Da ist die Dunkelziffer hoch, viele bekennen sich auch gar nicht dazu, um unnötigen Stress zu vermeiden. Kaum jemand weiß zum Beispiel, dass Opernstar Anna Netrebko eine Roma ist. Auch viele Fußballspieler und Menschen in der Öffentlichkeit sind Angehörige der Minderheit. Sie gehen damit aber meist nicht an die Öffentlichkeit. Um noch mal auf das blöde Lied zurückzukommen: Was macht eigentlich einen „Zigeuner“ aus? Das besungene Herumreisen kann es ja eigentlich nicht sein, oder? Der Begriff „Zigeuner“ ist ein Konstrukt der Gesellschaft. Das Herumreisen ist durch Ausgrenzung entstanden: Die Menschen mussten sich als Musiker oder Korbmacher ihren Lebensunterhalt verdienen Unsere Sprache, das Romanes, ist der wichtigste Bestandteil unserer Kultur. Sie wird in den Familien zu Hause gesprochen. Und wie ist das mit der Musik? Also – ich bin kein begnadeter Musiker. Wenn ich Geige spielen müsste, würde das klingen wie eine nicht geölte Tür. Aber Musik hilft, die Menschen über das Herz zu erreichen. Über das Herz zum Verstand. Zu einem Vortrag kommen vielleicht 30 Zuhörer, und oft dieselben. Zu einer Musikveranstaltung kommen mehr als 200. Deshalb machen wir auch wieder unser Musikfestival in Landau.

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